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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gingen, »außerhalb der literarischen Welt gibt es keinen Menschen, der die schreckliche Odyssee kennt, auf der man zu dem gelangt, was man, je nach den Talenten, Beliebtheit, Mode, Ansehen, Renommee, Berühmtheit, Popularität nennen muß. Das alles sind verschiedene Stufen, die zum echten, zum ganz großen Ruhme führen und ihn nie ersetzen können. Dieses glänzende geistige Phänomen setzt sich aus tausend Zufällen zusammen, die so oft wechseln, daß es kein Beispiel von zwei Menschen gibt, die sich auf demselben Wege durchgesetzt haben. Canalis und Nathan sind zwei untereinander unähnliche Beispiele, die sich nie wiederholen werden. D'Arthez, der sich mit Arbeiten halb tot macht, wird durch einen andern Zufall berühmt werden. Diese so ersehnte Berühmtheit ist fast immer eine gekrönte Prostituierte. Jawohl, für die niedrigen Literaturgattungen ist sie das arme Mädchen, das an den Straßenecken friert; für die Literatur zweiten Ranges ist sie das ausgehaltene Mädchen, das aus den schlechten Häusern des Journalismus stammt und dem ich als Zuhälter diene; für die vornehme Literatur ist sie die übermütige, glänzende Kurtisane, die ihr eigenes Haus hat, dem Staat Steuern zahlt, die großen Herren empfängt, sie gut und schlecht behandelt, die ihre eigene Livree und ihren Wagen hat und ihre wütenden Gläubiger warten lassen kann. Ah! auch für mich war sie einst, wie jetzt für Sie, ein Engel mit bunten Flügeln, in weißem Gewande, in der einen Hand einen Palmzweig, in der andern einen flammenden Degen tragend, auch für mich stammte sie einst zu gleicher Zeit von dem mythischen Gebilde, das in der Tiefe eines Brunnens lebt, und von dem tugendhaften armen Mädchen, das verstoßen in der Vorstadt wohnt, auch für mich war sie einst nur zu erlangen im Schimmer der Tugend, durch die Anstrengungen eines edlen Muts, auch für mich flog sie einst als Heilige, Unbefleckte zum Himmel zurück, oder sie starb beschimpft, zertreten, gewaltsam niedergeworfen, vergessen auf dem Armenkarren; aber diese Menschen mit erzumgürtetem Hirn, mit Herzen, die unter den Schneelasten der Erfahrung noch warm sind, sind an dem Orte, den Sie zu unsern Füßen sehen, selten.« Dabei zeigte er auf die große Stadt, die im Abendrot dalag.
    Sein Zirkel aus der Rue des Quatre-Vents erschien plötzlich wie eine Vision vor Luciens Augen und bewegte seine Seele, aber er wurde von Lousteau mitgerissen, der in seiner furchtbaren Klage fortfuhr.
    »Sie sind selten und dünn gesät in dieser Gärgrube, selten, wie die wahren Liebenden in der Welt, in der man liebt; selten, wie die ehrlich erworbenen Vermögen in der Finanzwelt; selten, wie ein anständiger Mensch im Journalismus. Der erste, der mir seine Erfahrungen mitgeteilt und der mir dasselbe gesagt hat, was ich jetzt Ihnen sage, hat vergebens geredet, wie ich ohne Zweifel vergebens zu Ihnen rede. Es ist immer dieselbe Glut, die in jedem Jahr eine gleiche, wenn nicht wachsende Zahl unschuldiger, unreifer Ehrgeiziger aus der Provinz hierher treibt, die sich erhobenen Hauptes und stolzen Herzens daran machen, die Dame Mode zu erringen, diese neue Prinzessin Turandot aus Tausendundein Tag, deren Prinz Kalaf jeder sein möchte. Aber keiner löst das Rätsel. Alle fallen sie in den Graben des Elends, in den Schmutz der Zeitung, in die Sümpfe der Bücherfabrikation. Wie Bettler suchen sie alles mögliche zusammen: biographische Artikel, Klatschnotizen, Pariser Neuigkeiten aus den Zeitungen oder Stoff für Bücher, die logisch denkende Händler mit gedrucktem Papier bei ihnen bestellen, die einen Schmarren, der in vierzehn Tagen abgesetzt wird, lieber haben als ein Meisterwerk, das sich langsam verkauft. Diese Raupen, die zugrunde gehen, ehe sie Schmetterlinge werden, leben von der Verleumdung und der Infamie und sind bereit, auf den Befehl eines Paschas vom ›Constitutionnel‹, der ›Quotidienne‹ oder den ›Débats‹, auf einen Wink der Verleger, auf das Ersuchen eines neidischen Kollegen, oft bloß für ein Diner, ein werdendes Talent herunterzureißen oder zu rühmen. Wer die Hindernisse alle überstiegen hat, vergißt den Jammer seines Anfangs. Ich, der ich mit Ihnen spreche, habe ein halbes Jahr lang Artikel geschrieben und habe all meinen Geist hineingelegt, und für wen? für einen Elenden, der sie für seine ausgab, der auf diese Proben hin Feuilletonredakteur geworden ist; er hat mich nicht als Mitarbeiter angenommen, er hat mir noch keine hundert Sous gegeben, und wenn ich

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