Verlorene Illusionen (German Edition)
abend, mein Lieber, ist eine Premiere im Panorama Dramatique, sie fängt erst um acht Uhr an, es ist sechs Uhr; ziehen Sie Ihren besten Anzug an, machen Sie sich fein. Holen Sie mich ab. Ich wohne Rue de la Harpe über dem Café Servel, im vierten Stock. Wir gehen zuerst zu Dauriat. Sie bleiben dabei, nicht wahr? Schön, ich werde Sie heute abend mit einem der Könige des Verlagsbuchhandels und mit ein paar Journalisten bekannt machen. Nach der Vorstellung soupieren wir mit etlichen Freunden bei meiner Geliebten, denn was wir bei Flicoteaux gegessen haben, zählt nicht als Mahlzeit mit. Sie werden dort Finot finden, den Chefredakteur und Besitzer meines Blattes. Sie kennen das Wort Minettes im Vaudeville: ›Die Zeit ist ein feiner Kerl‹? Schön; der Zufall soll für uns auch ein feiner Kerl sein, wir müssen es mit ihm versuchen.«
»Ich werde diesen Tag nie vergessen«, sagte Lucien.
»Wappnen Sie sich mit Ihrem Manuskript, und machen Sie sich fein, weniger für Florine, als für den Verleger.«
Die kameradschaftliche Gutmütigkeit, die dem leidenschaftlichen Schrei des Dichters, der den literarischen Krieg schilderte, gefolgt war, rührte Lucien ebenso lebhaft, wie er jüngst an derselben Stelle von den ernsten und heiligen Worten d'Arthez' ergriffen worden war. Der unerfahrene junge Mann war von der Aussicht auf den bevorstehenden Kampf, den er mit den Menschen aufnehmen wollte, erregt und hatte keine Ahnung von dem wirklichen Aussehen des moralischen Elends, das ihm der Journalist voraussagte. Er wußte nicht, daß er vor zwei verschiedenen Wegen stand, zwischen zwei Systemen, die sein Freundeskreis und der Journalismus vertraten. Der eine von beiden war lang, ehrenhaft, sicher; der andere voller Klippen und Gefahren, voll schmutziger Pfützen, in denen sein Gewissen besudelt werden sollte. Sein Charakter bestimmte ihn dazu, den kürzesten, anscheinend angenehmsten Weg einzuschlagen, zu den entscheidenden und schnellen Mitteln zu greifen. Er sah in diesem Augenblick keinen Unterschied zwischen der edlen Freundschaft eines d'Arthez und der leichtsinnigen Kameradschaft Lousteaus. Sein beweglicher Geist sah in der Zeitung eine Waffe, die zu seiner Verfügung stand; er fühlte in sich die Kraft und die Geschicklichkeit, sie zu handhaben, er wollte nach ihr greifen. Er war entzückt über die Anerbietungen seines neuen Freundes, dessen Hand auf die seine mit einer Nonchalance klopfte, die ihm reizend schien; wie hätte er auch wissen können, daß in der Armee der Presse jeder Freunde braucht, wie die Generale Soldaten brauchen! Lousteau, der seine Entschlossenheit bemerkte, preßte ihn zum Kollegen, in der Hoffnung, ihn sich zu verbinden. Der Journalist verhielt sich zu seinem ersten Freund, wie Lucien zu diesem ersten Beschützer: der eine wollte Korporal werden, der andere Soldat sein. Der Neuling ging fröhlich in sein Hotel zurück, wo er eine ebenso sorgfältige Toilette machte wie an dem Unglückstag, da er in der Loge der Marquise d'Espard in der Großen Oper hatte paradieren wollen, aber seine Kleider standen ihm schon besser, er hatte sich an sie gewöhnt. Er zog seine schöne enganliegende helle Hose an, seine eleganten Stiefel, die ihm vierzig Franken gekostet hatten, und seinen Gesellschaftsrock. Er ließ seine feinen wogenden blonden Haare frisieren, parfümieren und locken. Auf seiner Stirn strahlte die Kühnheit, die er aus dem Gefühl seines Werts und seiner Zukunft schöpfte. Er ließ seine Mädchenhände sorgfältig behandeln, ihre mandelförmigen Nägel wurden blank und rosig. Von einem schwarzseidenen Kragen hob sich die weiße Rundung seines Kinns entzückend ab. Nie war ein schönerer Jüngling vom Quartier latin herabgekommen: er strahlte wie ein griechischer Gott. Er nahm eine Droschke und war um dreiviertel sieben Uhr vor der Tür des Hauses, in dem sich das Café Servel befand. Die Portiersfrau sagte ihm, er müßte in den vierten Stock klettern, und gab ihm eine ziemlich komplizierte Beschreibung. So vorbereitet, fand er nicht ohne Mühe am Ende eines langen, dunklen Ganges eine offene Tür und sah das klassische Zimmer des Quartier latin. Das Elend der jungen Leute, das in der Rue de Cluny, bei d'Arthez, bei Chrestien, überall herrschte, war ihm auch hierher gefolgt. Aber überall prägt es sich in einer Weise aus, die dem Charakter des Dulders entspricht. Hier war das Elend düster. Ein Bett aus Nußbaumholz ohne Vorhänge, neben dem ein elender Teppichfetzen lag, der nach dem
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