Verlorene Illusionen (German Edition)
Krankheiten den Kurpfuschern, die dazu da sind: den Staatsmännern. Wie Charlet sagt: ›Ich soll auf dem Weinberg ausspucken? Niemals!‹«
»Wißt Ihr, wie Vignon mir vorkommt?« sagte Lousteau, indem er auf Lucien wies. »Wie eine der Huren aus der Rue du Pélican, die zu einem Gymnasiasten sagt: ›Geh, Kleiner, so ein junges Bürschchen sollte noch nicht hierher kommen.‹«
Dieser Einfall brachte alle zum Lachen, aber Coralie gefiel er besonders. Die Kaufleute hörten zu und vergaßen das Essen und Trinken nicht.
»Was ist das für eine Nation, in der man so viel Gutes und so viel Schlimmes findet!« sagte der Minister zum Herzog von Rhétoré. »Meine Herren, Sie sind Verschwender, die sich nicht ruinieren können.«
So fehlte es, dank dem Zufall, Lucien an keiner Warnung vor dem Abgrund, über dem er schwebte. D'Arthez hatte dem Dichter den edlen Weg der Arbeit gewiesen und hatte zugleich das Gefühl in ihm wachgerufen, vor dem alle Hindernisse verschwinden. Lousteau selbst hatte aus egoistischen Gedanken heraus versucht, ihn vom Journalismus fernzuhalten, indem er ihm diesen und die Literatur überhaupt in ihrem wahren Lichte zeigte. Lucien hatte nicht an so viel verstecktes Verderben glauben wollen; aber er hörte jetzt schließlich, wie die Journalisten von ihrem Elend redeten, er sah sie am Werk, sah, wie sie ihrer Nährmutter die Eingeweide bloßlegten, um die Zukunft vorauszusagen. Er hatte an diesem Abend die Dinge gesehen, wie sie sind. Aber er wurde beim Anblick dieses Herzens der Pariser Korruption, die Blücher so gut charakterisiert hatte, nicht von Entsetzen ergriffen, er gab sich wie berauscht dem Genuß dieser geistvollen Gesellschaft hin. Diese ungewöhnlichen Menschen unter der Damaszenerrüstung ihrer Laster, in dem glänzenden Heim ihrer Analyse fand er den schweren und ernsten Menschen seines Freundeskreises überlegen. Und dann schlürfte er zum erstenmal die Wonnen des Reichtums; der Zauber des Luxus umschmeichelte ihn, die gute Tafel übte ihre Macht auf ihn aus; seine wählerischen Instinkte erwachten, er trank zum erstenmal erlesene Weine, er lernte die köstlichen Gerichte der feinen Küche kennen, er sah mitten unter den Journalisten einen Minister, einen Herzog, eine Tänzerin, die ihre despotische Macht bewunderten; er verspürte ein heftiges Gelüste, diese Welt von Königen zu beherrschen, er fühlte die Kraft in sich, sie zu besiegen. Und schließlich hatte er diese Coralie, die er mit ein paar Sätzchen schon glücklich gemacht hatte, im Glanz der Kerzen, durch den Rauch der Gerichte und den Nebel der Trunkenheit hindurch näher angesehen, und sie schien ihm himmlisch, die Liebe machte sie so überaus schön! Dieses Mädchen war überdies die schönste Schauspielerin von Paris. Sein Zirkel, jene hohe Versammlung der edelsten Intelligenz, mußte unter einer so starken, so völligen Versuchung erliegen. Die spezifische Schriftstellereitelkeit war bei Lucien von Kennern gekitzelt, er war von seinen künftigen Rivalen gelobt worden. Der Erfolg seines Artikels und die Eroberung Coralies waren zwei Triumphe, die auch einem weniger jungen Menschen den Kopf verdreht hätten. Während dieser Debatte hatten alle überaus gut gegessen und hervorragend viel getrunken. Lousteau, Camusots Nachbar, goß ihm zwei- oder dreimal Kirschwasser in seinen Wein, ohne daß jemand darauf achtete, und reizte seine Eigenliebe, um ihn zum Trinken zu bringen. Dieses Manöver gelang so gut, daß der Kaufmann es nicht bemerkte; er hielt sich in seiner Art für ebenso witzig wie die Journalisten. Die bittern Späße begannen in dem Augenblick, wo die Leckereien des Nachtisches und die Weine auf den Tisch kamen. Der Diplomat machte als Mann von viel Geist in dem Augenblick, wo er merkte, daß jetzt die Torheiten laut zu werden anfingen, die bei diesen geistvollen Männern die grotesken Szenen ankündigten, wie sie gewöhnlich den Abschluß solcher Orgien bilden, dem Herzog und der Tänzerin ein Zeichen, und alle drei verschwanden. Sowie Camusot sinnlos betrunken war, flohen Coralie und Lucien, die sich während des ganzen Soupers wie ein Liebespaar von fünfzehn Jahren benommen hatten, die Treppe hinunter und fuhren mit einer Droschke davon. Da Camusot unter dem Tisch lag, glaubte Matifat, er wäre mit der Schauspielerin verschwunden; er ließ seine Gäste rauchen, lachen, trinken, streiten und folgte Florine, als sie schlafen ging. Der Tag überraschte die Kämpfer oder vielmehr Blondet, der ein
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