Verlorene Illusionen (German Edition)
Kerl, nur den Leib hat, und daß Sie der Geliebte, der Gott sind, dem man die Seele gibt. Wenn Sie wüßten, wie meine Coralie reizend ist, wenn ich ihr die Rollen überhöre! Ein Herzenskind, was! Sie hat wohl verdient, daß Gott ihr einen seiner Engel schickte, sie war des Lebens überdrüssig. Sie ist bei ihrer Mutter so unglücklich gewesen, die sie geschlagen und verkauft hat! Ja, lieber Herr, eine Mutter, und ihr eigenes Kind! Wenn ich eine Tochter hätte, ich würde sie pflegen wie meine kleine Coralie, zu der ich wie eine Mutter bin. Jetzt hat sie zum erstenmal gute Zeit, zum erstenmal hat sie ordentlichen Beifall gehabt. Es scheint, man hat auf das hin, was Sie geschrieben haben, eine famose Claque auf die Beine gebracht. Während Sie schliefen, war Braulard hier und hat mit ihr gearbeitet.«
»Wer, Braulard?« fragte Lucien, der diesen Namen schon gehört zu haben glaubte.
»Der Chef der Claque, der mit ihr die Stellen der Rolle besprochen hat, wo sie bedient werden soll. Florine nennt sich zwar ihre Freundin, aber sie könnte ihr einen Streich spielen wollen und alles für sich nehmen. Der ganze Boulevard redet nur von Ihrem Artikel. Ist das nicht ein Bett für die Liebesstunden eines Prinzen?« sagte sie und legte über das Bett eine Spitzendecke.
Sie zündete die Kerzen an. Bei ihrem Licht glaubte der geblendete Lucien sich in der Tat in einem Feenschloß. Die reichsten Seidenstoffe waren von Camusot als Wandverkleidung und für die Drapierung der Fenster ausgewählt worden. Der Dichter ging auf einem Königsteppich, das reichgeschnitzte Palisanderholz der Möbel flimmerte in Lichtreflexen. Der Kamin aus weißem Marmor wies die kostbarsten Nippsachen auf. Der Bettvorleger war aus Schwanenfedern, die mit Marderfell eingefaßt waren; Pantoffel aus schwarzem Samt, mit roter Seide gefüttert, standen darauf und sprachen von den Genüssen, die den Dichter der ›Margueriten‹ erwarteten. Eine entzückende Lampe hing von der mit Seide bespannten Decke. Überall standen in wunderbaren Vasen und Schalen erlesene Blumen, reizendes weißes Heidekraut und Kamelien, die nicht dufteten. Überall sah man die Sinnbilder der Unschuld. Niemand hätte geglaubt, daß da eine Schauspielerin und Theatergewohnheiten herrschten. Berenice bemerkte Luciens Erstaunen.
»Hübsch, nicht wahr?« sagte sie mit einschmeichelnder Stimme. »Kann man sich hier nicht besser lieben als auf einem Dachboden? Sie müssen ihren dummen Streich verhindern«, fuhr sie fort und stellte vor Lucien einen prächtigen kleinen Tisch hin, auf dem Gerichte standen, die sie heimlich vom Essen ihrer Herrin weggenommen hatte, damit die Köchin von der Anwesenheit des Geliebten nichts merken konnte.
Lucien speiste sehr gut; Berenice trug ihm die Speisen auf reichgeziertem Silbergeschirr auf, und er aß auf gemalten Tellern, von denen jeder einen Louisdor kostete. Dieser Luxus wirkte auf seine Seele, wie eine Straßendirne mit ihrem nackten Fleisch und ihren strammanliegenden weißen Strümpfen auf einen Gymnasiasten wirkt.
»Ist dieser Camusot glücklich!«
»Glücklich?« erwiderte Berenice. »Ach, der gäbe gern sein Vermögen, um an Ihrer Stelle zu sein und seine alten, grauen Haare gegen Ihre blonden einzutauschen.«
Sie forderte Lucien, dem sie den köstlichsten Wein gab, wie er in Bordeaux für die reichsten Engländer gekeltert wird, auf, sich hinzulegen und, bis Coralie käme, ein kleines Schläfchen zu machen, und Lucien hatte in der Tat Lust, sich in dieses prächtige Bett zu legen. Berenice, die diesen Wunsch in den Augen des Dichters gelesen hatte, war für ihre Herrin glücklich darüber. Um halb elf Uhr erwachte Lucien unter einem liebestrunkenen Blick. Coralie stand vor ihm im verführerischsten Nachtgewand. Lucien hatte geschlafen, er war noch vor Liebe trunken. Berenice zog sich zurück und fragte:
»Um wieviel Uhr morgen?«
»Um elf Uhr; du bringst uns das Frühstück ans Bett. Ich bin vor zwei Uhr für niemanden zu sprechen.«
Um zwei Uhr am nächsten Tag waren die Schauspielerin und ihr Geliebter angekleidet und präsentierten sich derart, wie wenn der Dichter seiner Schutzbefohlenen einen Besuch machte. Coralie hatte Lucien gebadet, gekämmt und frisiert und angekleidet; sie hatte ihm ein Dutzend schöne Hemden, ein Dutzend Halsbinden, ein Dutzend Taschentücher bei Colliau holen lassen und ein Dutzend Paar Handschuhe in einem Kästchen aus Zedernholz. Als sie das Rasseln eines Wagens vor ihrem Hause hörte, stürzte sie mit
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