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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Mann des Königreichs. So sind ihre Verbrechen Kleinigkeiten! ihre Angreifer Scheusale! und nach einiger Zeit glauben die Leute, die sie alle Tage lesen, alles, was sie will. Von nun an ist nichts, was ihr mißfällt, mehr patriotisch, und sie wird nie unrecht haben. Sie bedient sich der Religion gegen die Religion, der Verfassung gegen den König; sie verhöhnt die Behörden, wenn die Behörden sie ärgern; sie lobt sie, wenn sie den Volksleidenschaften schmeicheln. Um Abonnenten zu ergattern, erfindet sie die rührendsten Märchen, führt sie Possenspiele auf wie Hanswurst. Die Zeitung würde eher dem Publikum ihren eigenen Vater zum Frühstück servieren, als darauf verzichten, es unausgesetzt zu interessieren und zu amüsieren. Sie ist wie ein Schauspieler, der die Asche seines Sohnes in die Urne tut, um wirklich weinen zu können; sie ist die Mätresse, die ihrem Geliebten alles opfert.«
    »Kurz, sie ist die Folioausgabe des Volkes«, rief Blondet dazwischen.
    »Des heuchlerischen, unedelmütigen Volkes«, erwiderte Vignon. »Es kommt dahin, daß die Zeitung das Talent aus ihrer Mitte verbannen wird, wie Athen Aristides verbannt hat. Wir werden es erleben, wie die Zeitungen, die anfangs von Ehrenmännern geleitet werden, später unter das Regiment der Mittelmäßigsten kommen, die die Geduld und die Nachgiebigkeit des Gummielastikums haben, die den wahren Talenten fehlt; oder sie kommen an die Krämer, die das Geld haben, sich die Federn zu kaufen. Wir erleben davon schon jetzt allerlei. Aber in zehn Jahren wird der erste beste Bursche, der vom Gymnasium kommt, sich für einen großen Mann halten, wird auf die Spalten eines Journals steigen, um seine Vordermänner zu prügeln, wird sie an den Füßen herunterziehen, um ihren Platz zu bekommen. Napoleon hatte sehr recht, die Presse zu knebeln. Ich möchte wetten, daß die Oppositionsblätter, wenn sie ihre Richtung zur Regierung brächten, diese selbe Regierung in dem Augenblick, wo sie ihnen irgend etwas verweigerte, mit den nämlichen Gründen und den nämlichen Artikeln, die sie jetzt gegen die Regierung des Königs schreiben, wütend bekämpfen würden. Je mehr man den Journalisten Konzessionen macht, um so anspruchsvoller werden die Zeitungen. Heute sind die Journalisten Parvenüs; aber ihnen werden ausgehungerte und arme Journalisten folgen. Die Wunde ist unheilbar, sie wird immer bösartiger, immer fressender; und das Übel wird immer größer, je mehr es geduldet wird, bis zu dem Tag, wo über die Zeitungen durch ihre Üppigkeit und Massenhaftigkeit die Verwirrung kommt, wie in Babylon. Wir wissen alle, wie wir hier sind, daß die Zeitungen in der Undankbarkeit weiter gehen werden als die Könige, daß sie in Spekulationen und Berechnungen weiter gehen als der schmutzigste Kaufmann, daß sie unsere Intelligenzen zugrunde richten werden, damit sie jeden Morgen ihren Hirnfusel verkaufen; aber wir schreiben alle für sie, wie die Leute, die eine Quecksilbermine ausbeuten, obwohl sie wissen, daß sie daran sterben. Da unten sitzt nun, neben Coralie, ein junger Mann... Wie heißt er? Lucien! Er ist schön, er ist ein Dichter und, was für ihn mehr wert ist, er hat Witz, Einfälle, Geist; was wird nun aus ihm? Er tritt in eines der Gedankenbordelle ein, die man Zeitung nennt, dort vergeudet er seine schönsten Ideen, dort dörrt er sein Hirn aus, dort befleckt er seine Seele, dort begeht er die anonymen Niederträchtigkeiten, die im Gedankenkrieg an die Stelle der Feldzugspläne, Plünderungen, Brandstiftungen, Hinterhalte im Krieg der Kondottieri getreten sind. Wenn er, wle tausend andere, ein schönes Talent zum Nutzen der Aktionäre vergeudet hat, dann lassen ihn diese Gifthändler Hungers sterben, wenn er Durst hat, und vor Durst sterben, wenn er Hunger hat.«
    »Danke«, sagte Finot.
    »Aber mein Gott,« sagte Claude Vignon, »ich wußte das, ich bin im Bagno, und die Ankunft eines neuen Sträflings macht mir Vergnügen. Wir, Blondet und ich, haben mehr Geist als die und die Herren, die mit unserm Talent spekulieren, und wir werden trotzdem immer von ihnen ausgebeutet werden. Wir haben unter unserm Verstand ein Herz, die brutalen Eigenschaften des Ausbeuters fehlen uns. Wir sind faul, ergeben uns der Betrachtung, dem Sinnen, der Kritik, man wird unser Hirn austrinken und uns schlechtes Benehmen vorwerfen!«
    »Ich dachte, Ihr würdet lustiger sein«, rief Florine.
    »Florine hat recht,« sagte Blondet; »überlassen wir die Heilung der öffentlichen

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