Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
Treue zu tun hat. Allerdings bin ich fünfzig Jahre alt: ich muß blind sein wie Amor.‹
    Für diesen feigen Monolog gab es keine Entschuldigung. Die Stiefel waren nicht solche Halbschuhe, wie sie heutzutage getragen werden und die schließlich ein zerstreuter Mensch nicht zu sehen brauchte; es waren, wie es damals die Mode mit sich brachte, ein Paar hohe, sehr elegante Stiefel mit Quasten, denen man es ansah, daß sie gewohnt waren, aus weiten, meistens hellen Hosen hervorzuleuchten, und alles spiegelte sich in ihnen wie in einem Spiegel. So mußten die Stiefel dem wackeren Seidenwarenhändler in die Augen springen, und, dürfen wir hinzufügen, auch das Herz mußte ihm bei diesem Anblick zerspringen.
    »Was haben Sie?« fragte ihn Coralie.
    »Nichts«, gab er zur Antwort.
    »Klingeln Sie!« sagte Coralie, die über Camusots Feigheit lächeln mußte.«
    »Berenice,« sagte sie zu der Normannin, sowie sie eintrat, »holen Sie mir doch einen Anzieher, damit ich diese verdammten Stiefel noch einmal probiere. Vergessen Sie nicht, sie heute abend in mein Ankleidezimmer zu bringen.«
    »Was!... Ihre Stiefel?...« sagte Camusot, der schon leichter atmete.
    »Ja, was denken Sie denn?« fragte sie hochmütig. »Altes Schaf, glauben Sie's nicht?... – O gewiß, er meint was«, sagte sie zu Berenice. – »Ich habe in dem Stück von Dingsda eine Männerrolle, und ich habe mich noch nie als Mann angezogen. Der Theaterschuhmacher hat mir die Stiefel da gebracht, ich soll mich darin im Gehen üben, bis ich das Paar bekomme, zu dem er mir Maß genommen hat; er hat sie mir angezogen, aber ich habe solche Schmerzen gehabt, daß ich sie auszog, und doch muß ich sie wieder anziehen.«
    »Ziehen Sie sie nicht an, wenn sie Sie drücken«, sagte Camusot, den die Stiefel so gedrückt hatten.
    »Das ist auch wahr,« sagte Berenice; »wozu soll sich das Fräulein so quälen wie vorhin; sie hat geweint, Herr Camusot! und wenn ich ein Mann wäre, dürfte eine Frau, die ich liebe, nie weinen! Es wäre besser, wenn sie welche aus feinem Saffianleder trüge. Aber die Direktion ist so filzig! Sie sollten ihr welche bestellen...«
    »Ja, gewiß«, sagte der Kaufmann. – »Sie gehen?« fragte er Coralie.
    »Im Augenblick, ich bin erst um sechs Uhr zurückgekommen, nachdem ich Sie überall gesucht habe; ich habe um Ihretwillen sieben Stunden lang meine Droschke behalten. So kümmern Sie sich um mich! Sie vergessen mich über den Weinflaschen. Ich habe mich in acht nehmen müssen, wo ich jetzt jeden Abend, solange der Alkalde Geld einbringt, spielen muß. Nach dem Artikel des jungen Mannes darf ich nicht schlecht spielen.«
    »Ein hübscher Bursche ist er«, sagte Camusot.
    »Finden Sie? Ich liebe diese Art Männer nicht, sie sehen einem Weib zu ähnlich; und die Sorte kann nicht so lieben, wie so 'n alter dummer Kaufmann. Ihr macht uns so schmachtend!«
    »Bleibt der Herr zum Essen hier?« fragte Berenice.
    »Nein, ich habe gar keinen Appetit heute.«
    »Sie waren nett bezecht gestern. Hören Sie, Papa Camusot, vor allem: Männer, die trinken, kann ich nicht leiden...«
    »Du mußt dem jungen Mann ein Geschenk machen«, sagte der Kaufmann.
    »Ach ja, ich zahle sie lieber auf die Weise, als daß ich es wie Florine mache. Gehen wir, gehen Sie nur, schlechter Mensch, oder schenken Sie mir einen Wagen, damit ich nicht so viel Zeit verliere.«
    »Sie sollen ihn morgen haben, wenn Sie mit Ihrem Direktor im Rocher de Cancale dinieren. Man gibt am Sonntag das neue Stück nicht.«
    »Kommen Sie, ich gehe essen«, sagte Coralie und führte Camusot fort.
    Eine Stunde später wurde Lucien von Berenice befreit. Berenice war eine Jugendgefährtin Coralies und ein Geschöpf, das so schlau und verschmitzt war, wie ihr Körper umfangreich.
    »Bleiben Sie hier. Coralie wird allein zurückkommen. Sie will sogar Camusot den Laufpaß geben, wenn er Sie stört,« sagte Berenice zu Lucien; »aber, liebes Kind ihres Herzens, Sie sind zu gut, um sie zu ruinieren. Sie hat es mir gesagt, sie sei entschlossen, alles aufzugeben, aus diesem Paradies fortzugehen und mit Ihnen in Ihrer Mansarde zu leben. Oh, die Eifersüchtigen, die Neidischen haben ihr schon gesagt, daß Sie keinen Heller haben, daß Sie im Quartier latin wohnen! Ich würde euch folgen, wissen Sie, ich würde euch den Haushalt führen. Aber ich habe das arme Kind getröstet. Nicht wahr, lieber Herr, Sie sind zu gescheit, um solchen Unsinn zu machen? Ach, Sie werden schon sehen, daß der andere, der plumpe

Weitere Kostenlose Bücher