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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sich von ihm befreit fühlte, war so liebenswürdig gegen den armen Seidenhändler, daß er sich nicht erinnerte, sie während der vierzehn Monate ihrer Beziehungen so reizend und anmutig gesehen zu haben.
    »Wohlan«, sagte er sich, »bleiben wir bei ihr, trotzdem!«
    Camusot schlug Coralie heimlich eine Eintragung von sechstausend Pfund Rente in das Hauptbuch, das seine Frau nicht kannte, vor, wenn sie unter der Bedingung seine Geliebte bleiben wollte, daß er sich ihre Liebe zu Lucien gefallen ließe.
    »Einen so himmlischen Menschen betrügen?... Aber sieh ihn dir doch an, und sieh dann dich an!« sagte sie, indem sie auf den Dichter zeigte, dem Camusot einen leichten Schwips beigebracht hatte.
    Camusot beschloß, darauf zu warten, daß ihm das Elend die Frau wiedergeben würde, die ihm das Elend ausgeliefert hatte.
    »So werde ich denn nur dein Freund sein«, sagte er und küßte sie auf die Stirn.
    Lucien verließ Coralie und Camusot und begab sich in die Galeries de Bois. Welche Veränderung hatte seine Einweihung in die Geheimnisse der Zeitung in seinem Kopf hervorgebracht! Er mischte sich ohne Furcht unter die Menge, die in den Galerien wogte, nahm eine herausfordernde Miene an, weil er eine Geliebte hatte, und trat ungeniert bei Dauriat ein, weil er Journalist war. Er fand dort große Gesellschaft und gab Blondet, Nathan, Finot, der ganzen Literatur, mit der er sich seit einer Woche verbrüdert hatte, die Hand; er hielt sich für eine Persönlichkeit und glaubte sich seinen Kameraden überlegen; der kleine Rausch tat ihm treffliche Dienste, er war geistreich und bewies, daß er mit den Wölfen heulen könne. Trotzdem empfing Lucien nicht die schweigsamen, stummen oder ausgesprochenen Zustimmungen, auf die er gerechnet hatte; er bemerkte zum erstenmal eine Regung von Eifersucht unter diesen Leuten, die die Angst nicht so sehr stachelte als die Neugierde, zu erfahren, welchen Platz eine neue Größe einnehmen und wieviel bei der allgemeinen Teilung der Erträge der Presse auf sie kommen würde. Finot, der in Lucien eine Mine zum Ausbeuten sah, Lousteau, der Rechte auf ihn zu besitzen glaubte, waren die einzigen, die der Dichter lächeln sah. Lousteau, der schon das Gebaren eines Chefredakteurs angenommen hatte, klopfte energisch an das Fenster von Dauriats Kabinett.
    »Im Augenblick, mein Freund«, antwortete ihm der Buchhändler, der ihn erkannte, und hob den Kopf über die grünen Vorhänge.
    Der Augenblick dauerte eine Stunde, nach deren Verlauf Lucien und sein Freund ins Allerheiligste eintraten.
    »Nun, haben Sie sich die Sache mit meinem Freund durch den Kopf gehen lassen?« fragte der neue Chefredakteur.
    »Gewiß«, erwiderte Dauriat mit der Haltung eines Sultans.
    »Ich habe die Sammlung durchgesehen und sie einem Mann von Geschmack, einem guten Beurteiler, zu lesen gegeben, denn ich bilde mir nicht ein, davon allzuviel zu verstehen. Ich kaufe den Ruhm lieber fix und fertig, wie jener Engländer die Liebe. – Sie sind ein ebenso großer Dichter, wie Sie hübsch sind, Kleiner«, sagte Dauriat. »So wahr ich ein ehrlicher Mann, ich sage nicht, Buchhändler bin, geben Sie acht! Ihre Sonette sind prachtvoll, man merkt nicht die Arbeit; das ist ja auch natürlich bei Inspiration und Feuer. Kurz, Sie verstehen zu reimen, die besondere Kunst der neuen Schule. Ihre ›Margueriten‹ sind ein schönes Buch, aber es ist kein Geschäft für mich, und ich kann mich nur mit großen Unternehmungen befassen. Auf mein Gewissen, ich will Ihre Sonette nicht nehmen, es wäre mir unmöglich, sie zu lancieren, man kommt nicht auf die Kosten, wenn man da einen Erfolg in Szene setzt. Im übrigen werden Sie mit der Poesie nicht fortfahren, dieses hier wird ein vereinzeltes Buch sein. Sie sind jung, junger Mann! Sie bringen mir die ewige Sammlung der ersten Gedichte, die alle Leute von der Feder, nachdem sie das Gymnasium verlassen, machen, die ihnen zuerst am Herzen liegt und über die sie sich späterhin lustig machen. Ihr Freund Lousteau muß in seinen alten Strümpfen noch so eine versteckte Dichtung haben. – Hast du nicht eine Dichtung, an die du geglaubt hast, Lousteau?« sagte Dauriat und warf auf Etienne einen schlauen Blick der Verständigung.
    »Wie könnte ich denn sonst Prosa schreiben?« sagte Lousteau.
    »Nun, Sie sehen, er hat mir nie etwas davon gesagt, unser Freund kennt den Buchhandel und die Geschäfte«, fing Dauriat wieder an. »Für mich«, sagte er schöntuerisch zu Lucien, »ist die Frage nicht, zu

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