Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
die meisten Franzosen, die immer zur Opposition der Linken halten werden, verehren, kannst du Nathan vernichten, dessen Werk, obwohl es hervorragende Schönheiten enthält, einer Literatur ohne Ideen in Frankreich Bürgerrecht gibt. Von jetzt an handelt es sich nicht mehr um Nathan und sein Buch, verstehst du? sondern um den Ruhm Frankreichs. Es ist Pflicht der ehrenhaften und tapfern Schriftsteller, sich dem Import aus dem Ausland mit ganzer Kraft entgegenzustellen. Hier schmeichelst du dem Abonnenten. Du sagst, Frankreich sei eine gewitzigte Dame, es sei nicht leicht, sie einzunehmen. Wenn der Verleger aus Gründen, die du nicht erörtern wirst, einen Erfolg erschlichen hat, so hat das wirkliche Publikum den Irrtum bald wieder gutgemacht, den die fünfhundert Tröpfe, die seine Schutztruppe bilden, zustande gebracht haben. Du sagst, der Verleger zeige eine zu große Kühnheit, wenn er eine zweite Auflage herstelle, weil er das Glück gehabt habe, eine Auflage zu verkaufen, und du bedauerst, daß ein so geschickter Buchhändler sich auf die Neigungen des Landes so schlecht verstehe. Da hast du die allgemeinen Umrisse. Bestreue mir diese Sätze mit dem Salz deines Geistes, mache sie mit einem Tropfen Essig pikanter, und Dauriat ist in der Artikelpfanne fertiggebraten. Aber vergiß nicht, zum Schluß zu tun, als beklagtest du, daß Nathan einen bedauerlichen Irrtum begangen habe, aber er sei ein Mann, dem die Literatur unserer Zeit, wenn er andere Bahnen einschlägt, noch schöne Werke zu verdanken haben werde.«
    Lucien war aufs höchste betroffen, während er Lousteau zuhörte; bei den Worten des Journalisten fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, er vernahm literarische Wahrheiten, von denen er noch nie etwas geahnt hatte.
    »Aber was du da sagst,« rief er, »ist sehr begründet und richtig.«
    »Könntest du ohne das Nathans Buch zusammenhauen?« sagte Lousteau. »Das, mein Lieber, ist das erste Beispiel eines Artikels, mit dem man ein Werk vernichten will: die Spitzhacke der Kritik. Aber es gibt sehr viele andere Formen! Du wirst schon weitergebildet werden. Wenn du unbedingt genötigt bist, über einen Mann zu schreiben, den du nicht magst, denn manchmal tut es der Besitzer oder der Chefredakteur eines Blattes nicht anders, dann bedienst du dich für deine negativen Absichten der Gründlichkeit. Als Überschrift des Artikels setzest du den Titel des Buches, mit dem du dich zwangsweise beschäftigen mußt; du beginnst mit allgemeinen Betrachtungen, sprichst von den Griechen und Römern und sagst zuletzt: ›Diese Betrachtungen führen uns zu dem Buch des Herrn Soundso, von dem in einem zweiten Artikel die Rede sein wird.‹ Und der zweite Artikel erscheint nie. Man erstickt so das Buch zwischen zwei Besprechungen. Diesmal aber handelt es sich nicht um einen Artikel gegen Nathan, sondern gegen Dauriat; du mußt also die Hacke benutzen. Einem schönen Buche schadet die Hacke nichts, während sie einem schlechten bis ins Herz dringt; im ersten Fall verletzt sie nur den Verleger, im zweiten erweist sie dem Publikum einen Dienst. Diese Formen der literarischen Kritik werden in derselben Weise in der Politik angewandt.«
    Die grausame Lektion, die Etienne ihm gab, öffnete in der Phantasie Luciens, der dieses Handwerk sehr gut begriff, ganz neue Fächer.
    »Wir wollen auf die Redaktion gehen,« sagte Lousteau, »wir treffen dort unsere Freunde und verabreden einen allgemeinen Angriff gegen Nathan, und du wirst sehen, welches Vergnügen ihnen das macht.«
    Als sie in der Rue Saint-Fiacre angelangt waren, stiegen sie zusammen in die Dachstube, in der das Blatt hergestellt wurde, und Lucien war ebenso überrascht wie entzückt, als er die lebhafte Freude sah, mit der seine Kollegen beschlossen, das Buch Nathans zu vernichten. Hector Merlin nahm ein Blatt Papier und schrieb folgende Zeilen, die er sofort in sein Blatt trug: »Man zeigt eine zweite Auflage des Buches des Herrn Nathan an. Wir wollten über dieses Werk schweigend hinweggehen, aber dieser scheinbare Erfolg zwingt uns, einen Artikel zu veröffentlichen, der sich weniger mit diesem Buch als mit der Tendenz der jungen Literatur beschäftigen soll.«
    An die Spitze der Scherze für die Nummer des nächsten Tages stellte Lousteau den Satz: »Der Verleger Dauriat veröffentlicht eine zweite Auflage des Buches des Herrn Nathan. Er scheint den juristischen Grundsatz nicht zu kennen: Non bis in idem. Ehre dem Mute des Unglücklichen!«
    Die Worte Etiennes waren für

Weitere Kostenlose Bücher