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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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unfähig zu solchem Gewaltakt.«
    »Mein Lieber, der Journalist ist ein Akrobat, du mußt dich schon an die Unannehmlichkeiten des Standes gewöhnen. Wart mal, ich bin ein guter Kerl! So würde ich bei einer solchen Gelegenheit verfahren. Gib also acht! Du fängst damit an, das Werk schön zu finden, und du kannst dich dann damit amüsieren, zu schreiben, was du darüber denkst. Das Publikum wird sich sagen: ›Dieser Kritiker ist ohne Eifersucht, er wird sicher unparteiisch sein.‹ Das Publikum wird also deine Kritik für gewissenhaft halten. Nachdem du nun also die Achtung deines Lesers gewonnen hast, sprichst du dein Bedauern aus, daß du das System tadeln mußt, wie Bücher der Art in die französische Literatur hineinkommen wollen. Du sagst also etwa: ›Beherrscht nicht Frankreich die Intelligenz der ganzen Welt? Bis zum heutigen Tage, durch alle Jahrhunderte hindurch, hielten die französischen Schriftsteller Europa auf den Bahnen der Analyse und der philosophischen Untersuchungen vermittels der Macht des Stils und der originellen Form, die sie den Ideen gaben.‹ Hier bringst du für den braven Bürger eine Lobrede auf Voltaire, Rousseau, Diderot, Montesquieu und Buffon an. Du setzest auseinander, wie unbarmherzig in Frankreich die Sprache ist, du beweisest, daß sie ein Lack ist, der den Gedanken völlig bedeckt. Du gibst Grundsätze von dir wie den folgenden: ›Ein großer Schriftsteller in Frankreich ist immer ein großer Mann, die Sprache zwingt ihn, immer zu denken; das ist in den andern Ländern nicht so usw.‹ Du beweisest deine Behauptung, indem du Rabener, einen deutschen Moralsatiriker, mit Labruyère vergleichst. Nichts steht einem Kritiker so gut an, wie wenn er von einem fremden Autor spricht, den niemand kennt. Kant ist der Sockel von Cousin. Bist du erst einmal auf diesem Boden, so gibst du ein Wort von dir, das den Laien das System unserer genialen Männer des letzten Jahrhunderts zusammenfaßt und erklärt: du nennst ihre Literatur eine Literatur der Metaphysik. Hast du erst einmal dieses Wort, so wirfst du den lebenden Schriftstellern alle berühmten Toten an den Kopf. Nun gehst du dazu über, darzutun, daß in unsern Tagen eine neue Literatur entsteht, die den Dialog – die leichteste aller literarischen Formen – und Beschreibungen, die ein Ersatzmittel fürs Denken sind, zu ausgiebig anwendet. Du hältst die Romane von Voltaire, Diderot, Sterne, Lesage, die so konkret, so eindringlich sind, dem modernen Roman entgegen, in dem sich alles in Bildern ausdrückt und den Walter Scott oft in ein Drama verwandelt hat. Er ist eine Literaturgattung, in der nur der Erfinder Platz hat. Du sagst: ›Der Roman à la Walter Scott ist eine Abart, aber kein System.‹ Du wetterst gegen diese unheilvolle Abart, in der man die Ideen verdünnt, in der sie in Trivialitäten ausgemünzt werden, gegen diese Abart, die niemandem unzugänglich ist, in der jeder ohne viel Unkosten Schriftsteller werden kann, und schließlich nennst du diese Abart die Bilderliteratur. Nun wendest du diese Argumentation gegen Nathan an, indem du zeigst, daß er ein Nachahmer ist und nur scheinbar Talent hat. Der große, gedrängte Stil des achtzehnten Jahrhunderts fehlt seinem Buch, du zeigst, daß sein Verfasser die Ereignisse an die Stelle der Empfindungen gesetzt hat. Die Bewegung ist nicht das Leben, ein Bild ist keine Idee! Gib recht viele Sentenzen der Art von dir, das Publikum wiederholt sie. Das Werk also erscheint dir trotz seiner Verdienste verhängnisvoll und gefährlich, es öffnet der Menge die Pforten des Ruhmestempels, und in der Ferne läßt du ein ganzes Heer kleiner Schriftstellerlein auftauchen, die sich beeilen, diese Form, die so überaus leicht ist, nachzuahmen. Hier kannst du dich in donnernden Klagen über den Verfall des Geschmacks auslassen und findest Gelegenheit, das Lob der Herren Etienne, Jouy, Tissot, Gosse, Duval, Jay, Benjamin Constant, Aignan, Baour-Lormian, Villemain einzuschmuggeln, der Koryphäen der bonapartistisch-liberalen Partei, unter deren Patronat das Blatt Vernous steht. Du zeigst, wie diese heldenhafte Schar dem Eindringen der Romantiker Widerstand leistet, wie sie, gegen das Bild und das Geschwätz, zur Idee und zum Stil hält, wie sie die Schule Voltaires fortführt und sich der englischen und deutschen Schule widersetzt, genau so wie die siebzehn Redner der Linken den Kampf für die Nation gegen die Ultras der Rechten führen. – Unter dem Schutze dieser Namen, die bei weitem

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