Verlorene Illusionen (German Edition)
wissen, ob Sie ein großer Dichter sind; Sie haben viel, sehr viel Talent; wenn ich mit dem Buchhandel eben anfinge, würde ich den Fehler begehen, Sie herauszugeben. Aber heute würden mich wohl zuallererst meine Teilhaber und Geldgeber im Stich lassen; ich habe im vorigen Jahr zwanzigtausend Franken verloren, und das genügte, ihnen die Lust an der Poesie zu verleiden, und sie sind meine Herren. Doch ist dies immer noch nicht der Hauptpunkt. Zugegeben, daß Sie ein großer Dichter sind, werden Sie auch fruchtbar sein? Werden Sie regelmäßig Sonette schreiben? Werden Sie es zu zehn Bänden bringen? Werden Sie ein Geschäft sein? Keineswegs, Sie werden ein vorzüglicher Prosaschriftsteller werden; Sie haben zu viel Geist, um ihn sich mit Reimflickereien zu verderben. Sie können dreißigtausend Franken jährlich bei den Zeitungen verdienen und werden sie nicht gegen dreitausend Franken vertauschen, die Sie mit großer Mühe aus Ihren Hemistichien, Strophen und anderen Drechseleien ziehen würden!«
»Sie wissen doch, Dauriat, daß der Herr zum Blatt gehört«, sagte Lousteau.
»Ja,« erwiderte Dauriat, »ich habe seinen Artikel gelesen, und, wohlverstanden, in seinem eigenen Interesse lehne ich die ›Margueriten‹ ab. Jawohl, mein Herr, ich werde Ihnen in sechs Monaten von heute ab mehr Geld für die Artikel, die ich bei Ihnen bestellen werde, gegeben haben als für Ihre unverkäufliche Poesie!«
»Und der Ruhm?« rief Lucien aus.
Dauriat und Lousteau lachten.
»Alle Wetter,« sagte Lousteau, »das bewahrt sich Illusionen.«
»Der Ruhm,« ließ sich Dauriat vernehmen, »der ist zehn Jahre Ausdauer und hunderttausend Franken Verlust oder Gewinn für den Buchhändler. Wenn Sie Narren finden, die in einem Jahr Ihre Gedichte drucken, werde ich in Ihrer Achtung steigen, nachdem Sie das Resultat ihrer Unternehmung gesehen haben.«
»Haben Sie das Manuskript da?« fragte Lucien kühl.
»Hier ist es, mein Freund«, erwiderte Dauriat, dessen Manieren Lucien gegenüber schon auffallend freundlich geworden waren.
Lucien nahm die Rolle, ohne nachzusehen, in welchem Zustand der Bindfaden war, so sehr machte es den Eindruck, als habe Dauriat die ›Margueriten‹ gelesen. Er war weder bestürzt noch unzufrieden, als er mit Lousteau hinaustrat. Dauriat begleitete die beiden Freunde in den Laden und sprach von seinem und Lousteaus Blatt. Lucien spielte nachlässig mit dem Manuskript der ›Margueriten‹.
»Du glaubst, daß Dauriat deine Sonette gelesen hat oder sie hat lesen lassen?« sagte ihm Etienne ins Ohr.
»Ja«, sagte Lucien.
»Sieh dir das Siegel an.«
Lucien erblickte Tinte und Bindfaden im Zustand vollkommener Verbindung.
»Welches Sonett hat Ihnen besonders gefallen?« sagte Lucien zu dem Buchhändler, bleich vor Zorn und Wut.
»Sie sind alle bemerkenswert, mein Freund,« sagte Dauriat, »aber das auf die Marguerite ist entzückend, es schließt mit einem sehr feinen, sinnreichen Gedanken ab. Daran habe ich gesehen, welchen Erfolg Ihre Prosa haben muß. Ich habe Sie auch sofort an Finot empfohlen. Schreiben Sie uns Artikel, wir werden Sie gut bezahlen. Sehen Sie, an den Ruhm denken, das ist sehr schön, aber vergessen Sie nicht das Solide und nehmen Sie, was sich bietet. Wenn Sie erst reich sind, können Sie Verse machen.«
Der Dichter trat rasch in die Galerien hinaus, um nicht loszubrechen, denn er war wütend.
»Aber Kind,« sagte Lousteau, der ihm folgte, »beruhige dich, nimm die Menschen für das, was sie sind – Mittel. Willst du Revanche haben?«
»Um jeden Preis«, sagte der Dichter. »Hier ist ein Exemplar des Buches von Nathan, das mir Dauriat soeben gegeben hat; die zweite Auflage erscheint morgen, lies es nochmals durch und schustere einen Artikel zusammen, der es herunterreißt. Félicien Vernou kann Nathan nicht leiden, dessen Erfolg, wie er glaubt, dem zukünftigen Erfolg seines Buches schadet. Eine der fixen Ideen dieser kleinen Geister ist es, sich einzubilden, daß zwei Erfolge nebeneinander keinen Platz unter der Sonne haben. Er wird deine Artikel in dem großen Blatt, das er unter sich hat, aufnehmen.«
»Was kann man aber gegen dieses Buch sagen? Es ist schön!« rief Lucien aus.
»Ja, mein Lieber, lerne dein Handwerk«, sagte Lousteau lachend. »Wäre das Buch gleich ein Meisterwerk, so müßte es unter deiner Feder eine alberne Nichtigkeit, ein gefährliches und ungesundes Machwerk werden.«
»Aber wie?«
»Du verwandelst die Schönheiten in Schwächen.«
»Ich bin
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