Verlorene Illusionen (German Edition)
Mann, auf den man sich verlassen könne.
»Meine Herren, Lucien ladet Sie alle miteinander ein, bei seiner Geliebten, der schönen Coralie, zu soupieren.«
»Coralie kommt ans Gymnase«, sagte Lucien zu Etienne. »Also, meine Herren, Sie wissen doch, es ist abgemacht, wir schreiben für Coralie? Setzen Sie in alle Ihre Blätter ein paar Zeilen über ihr Engagement und reden Sie von ihrem Talent. Sie können von dem Takt und der Geschicklichkeit der Direktion des Gymnase sprechen; können wir ihr auch Geist zuschreiben?«
»Jawohl, das können wir,« erwiderte Merlin, »Frédéric hat mit Scribe zusammen ein Stück geschrieben.«
»Oh, dann ist der Direktor des Gymnase der weitestblickende und scharfsinnigste aller Spekulanten«, sagte Vernou.
»Was mir einfällt: schreiben Sie Ihre Artikel über das Buch von Nathan erst, wenn wir uns beraten haben. Ich sage Ihnen noch warum«, begann Lousteau. »Wir müssen unserm neuen Kollegen zu Diensten sein. Lucien hat zwei Bücher unterzubringen, eine Sonettensammlung und einen Roman. Bei der heiligen Zeitungsnotiz! er muß auf drei Monate Sicht ein großer Dichter werden. Wir wollen uns seiner ›Margueriten‹ bedienen, um auf dem Markt der Oden, Balladen, Meditationen und der ganzen romantischen Poesie eine furchtbare Baisse anzurichten.«
»Das wäre lustig, wenn die Sonette nichts taugten«, versetzte Vernou. »Was halten Sie von Ihren Sonetten, Lucien?«
»Ja, sagen Sie, wie finden Sie sie?« sagte einer der unbekannten Redakteure.
Meine Herren, sie sind gut, mein Ehrenwort darauf«, sagte Lousteau.
»Mir solls recht sein«, sagte Vernou. »Ich schmeiße sie diesen Pfaffendichtern, die mich wütend machen, zwischen die Beine.«
»Wenn Dauriat heute abend die ›Margueriten‹ ablehnt, versetzen wir ihm Artikel über Artikel gegen Nathan.«
»Und was wird Nathan dazu sagen?« rief Lucien.
Die fünf Redakteure brachen in Lachen aus.
»Er wird entzückt sein«, sagte Vernou. »Sie sollen schon sehen, wie wir die Sache machen.«
»Gehört der Herr denn auch wirklich zu uns?« fragte einer der beiden Redakteure, die Lucien nicht kannte.
»Jawohl, Frédéric, jawohl, nur keine Faxen. – Du siehst, Lucien,« sagte Etienne zu dem Neuling, »wie wir zu dir stehen. Du wirst dich, wenn sich die Gelegenheit findet, revanchieren. Wir lieben Nathan alle, und ihn wollen wir angreifen. Jetzt müssen wir das Reich Alexanders unter uns teilen. – Frédéric, willst du das Théatre Français und das Odéon?«
»Wenn es den Herren recht ist«, erwiderte Frédéric.
Alle nickten, aber Lucien sah neidische Blicke.
»Ich behalte die Große Oper, die Italienische Oper und die Opéra Comique«, sagte Vernou.
»Schön, Hector nimmt die Vaudeville-Theater«, fuhr Lousteau fort.
»Und ich soll kein Theater haben?« rief der andere Redakteur, den Lucien nicht kannte.
»Na, dann kann dir also Hector die Variétés lassen und Lucien die Porte Saint-Martin«, versetzte Etienne. »Laß ihm die Porte Saint-Martin, er ist hinter Fanny Beaupré her,« sagte er zu Lucien; »du nimmst dafür den Cirque Olympique. Ich habe Bobino, die Funambules und Frau Saqui... Was haben wir morgen fürs Blatt?«
»Nichts.«
»Nichts?«
»Nichts!«
»Meine Herren, geben Sie sich für meine erste Nummer ein bißchen Mühe und lassen Sie Ihren Geist glänzen. Der Baron du Châtelet und sein Stockfisch halten keine acht Tage vor. Der Verfasser des ›Einsiedlers‹ ist schon sehr verbraucht.«
»Sosthenes = Demosthenes ist nicht mehr witzig,« sagte Vernou, »alle Welt hat ihn uns weggenommen.«
»Oh, wir brauchen neue Tote«, rief Frédéric.
»Meine Herren, wie wärs, wenn wir den tugendhaften Männern der Rechten lächerliche Züge andichteten? Wenn wir zum Beispiel sagten, Herr von Bonald habe Schweißfüße?« rief Lousteau.
»Wir wollen eine Serie mit Porträts von ministeriellen Rednern anfangen«, meinte Hector Merlin.
»Tu das, Kleiner«, erwiderte Lousteau. »Du kennst sie, da sie von deiner Partei sind, da kannst du den und jenen Privathaß befriedigen. Nimm Beugniot, Syrieys de Mayrinhac und andere aufs Korn. Die Artikel können im voraus fertig sein. Dann kommen wir nicht in Verlegenheit.«
»Wie wärs, wenn wir einige Weigerungen, den oder jenen in geweihter Erde zu bestatten, erfänden, mit mehr oder weniger erschwerenden Umständen?«
»Wir wollen lieber nicht auf den Spuren der großen konstitutionellen Blätter gehen, die ganze Mappen voller Pfaffen haben, die bloße Enten
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