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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Lucien wie eine Fackel gewesen, und die Gier, sich an Dauriat zu rächen, trat ihm an die Stelle des Gewissens und der echten Begeisterung. Drei Tage saß er am Kamin in Coralies Zimmer und ließ sich von Berenice bedienen und von der ihn mit rücksichtsvoller Stille umgebenden Coralie in den Augenblicken, wo er sich ausruhte, zärtlich umschmeicheln: dann hatte er einen kritischen Artikel von ungefähr drei Spalten ins Reine geschrieben, in dem er sich zu einer erstaunlichen Höhe aufgeschwungen hatte. Neun Uhr abends lief er zur Redaktion, fand da die Kollegen und las ihnen seine Arbeit vor. Man hörte ihm ernsthaft zu. Félicien sagte kein Wort, nahm das Manuskript und stürzte die Treppe hinunter.
    »Was kommt ihn an?« rief Lucien.
    »Er trägt deinen Artikel in die Druckerei!« erwiderte Hector Merlin; »er ist ein Meisterstück, von dem nichts wegbleiben darf und dem keine Zeile hinzugesetzt zu werden braucht.«
    »Man muß dir nur den Weg zeigen!« sagte Lousteau.
    »Ich möchte das Gesicht sehen, das Nathan morgen macht, wenn er das liest«, sagte ein anderer Redakteur, auf dessen Miene frohe Genugtuung zu lesen war.
    »Man muß Ihr Freund sein«, sagte Hector Merlin. »Es ist also gut?« fragte Lucien lebhaft.
    »Blondet und Vignon wird es übel zumute werden«, meinte Lousteau.
    »Hier habe ich«, fing Lucien wieder an, »einen kleinen Artikel, den ich für euch geschrieben habe und der, wenn er Erfolg hat, eine Serie ähnlicher Stücke nach sich ziehen kann.«
    »Lies es uns vor«, sagte Lousteau.
    Lucien las ihnen nun einen der köstlichen Artikel, die das Glück dieses kleinen Blattes machen sollten, in denen er in zwei Spalten einen kleinen Zug des Pariser Lebens, eine Gestalt, einen Typus, einen gewöhnlichen Vorgang oder irgendeine Absonderlichkeit schilderte. Dieses Probestück, das ›Die Passanten von Paris‹ hieß, war in der neuen und originellen Manier geschrieben, in der der Gedanke sich aus dem Aneinanderprallen der Worte ergab, in der das Klirren der Adverbien und der Adjektive die Aufmerksamkeit wachrief. Dieser Artikel unterschied sich von dem ernsten und tiefen über Nathan ebensosehr wie Montesquieus ›Perserbriefe‹ von seinem ›Geist der Gesetze‹.
    »Du bist ein geborener Journalist«, sagte Lousteau zu ihm. »Das kommt morgen. Mache davon, so viel du willst.«
    »Hört,« sagte Merlin, »Dauriat ist wütend über die beiden Kartätschen, die wir ihm in den Laden geschossen haben. Ich komme eben von ihm; er wetterte Flüche, er wütete gegen Finot, der ihm aber ruhig sagte, er hätte dir sein Blatt verkauft. Ich nahm ihn beiseite und flüsterte ihm die Worte ins Ohr: Die ›Margueriten‹ kommen Sie teuer zu stehen! Ein talentvoller Mensch kommt zu Ihnen, und Sie schicken ihn weg, wenn wir ihn mit offenen Armen aufnehmen.«
    »Dauriat wird von dem Artikel, den wir eben gehört haben, niedergeschmettert sein«, sagte Lousteau zu Lucien. »Du siehst jetzt, mein Junge, was eine Zeitung ist. Deine Rache ist gut im Gange! Der Baron Châtelet hat heute morgen nach deiner Adresse gefragt; es gab heute einen blutigen Artikel gegen ihn; dem Exgeck ist sehr unwohl, er ist ganz verzweifelt. Du hast das Blatt nicht gelesen? Der Artikel ist lustig. Sieh hier: ›Der Leichenzug des Reihers, den sein Stockfisch beweint‹. Frau von Bargeton wird in der Gesellschaft nur noch der Stockfisch oder das Fischbein genannt, und Châtelet ist nur noch der Baron Reiher.«
    Lucien nahm das Blatt und konnte das Lachen nicht verbeißen, als er dieses kleine Meisterstück der Bosheit, das Vernou verfaßt hatte, las.
    »Sie werden kapitulieren«, sagte Hector Merlin.
    Lucien beteiligte sich in vergnügter Stimmung an der Abfassung einiger Scherze und Witze, mit der man die Redaktionstätigkeit für heute beschloß. Man rauchte und plauderte, erzählte die Vorfälle des Tages, unterhielt sich über kleine Lächerlichkeiten der Kollegen oder über etliche neue Einzelheiten zur Beleuchtung ihres Charakters. Diese Unterhaltung, die überaus spottlustig, witzig und boshaft geführt wurde, unterrichtete Lucien über die Sitten und Personalien der Literatur.
    »Während man das Blatt setzt,« sagte Lousteau, »will ich mit dir herumgehen, dich in den Theatern, die du zu besuchen hast, mit den Kontrolleuren und hinter den Kulissen bekannt machen; dann suchen wir Florine und Coralie im Panorama Dramatique auf und amüsieren uns mit ihnen in ihren Ankleidezimmern.«
    So gingen sie also, Arm in Arm, von Theater zu

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