Verlorene Illusionen (German Edition)
immer gemeiner machten, schufen im Gegenteil eine Art Privilegien, da sie die Gründung eines Blattes fast unmöglich machten. Im Jahre 1821 hatten also die Zeitungen das Recht über Leben und Tod der Schöpfungen des Gedankens und der Unternehmungen des Buchhandels. Eine Anzeige von wenigen Zeilen unter ›Vermischtes‹ war furchtbar teuer. Die Intrigen in den Redaktionsbureaus und am Abend auf dem Kampfplatz der Druckereien, in der Stunde, wo der Umbruch über die Zulassung oder die Ablehnung eines bestimmten Artikels entschied, waren so vielfältig, daß die großen Verlagshäuser einen Schriftsteller in ihren Diensten hatten, der diese Artikelchen redigierte, in denen man in wenig Worten viel sagen mußte. Diese unbekannten Journalisten, die erst nach der Einrückung bezahlt wurden, blieben oft die Nacht über in den Druckereien, um zu sehen, ob die großen Artikel, die sie, Gott weiß wie, durchgesetzt hatten, oder die paar Zeilen, die seitdem den Namen Reklamen erhielten, auch wirklich unter die Presse kamen. Heutzutage sind die Sitten in der Literatur und dem Verlagsbuchhandel so ganz andere geworden, daß viele geneigt sein möchten, die ungeheuren Anstrengungen, die Verführungskünste, die Erbärmlichkeiten, die Intrigen, deren sich die Buchhändler, die Autoren, die Märtyrer des Ruhmes, alle die Verdammten, die zu lebenslänglichem Erfolg verurteilt worden sind, um dieser Reklamen willen bedienen mußten, für Fabeln zu erklären. Diners, kleine Aufmerksamkeiten, Geschenke, alles das mußte den Journalisten gegenüber versucht werden. Die folgende Anekdote erklärt besser als alle Behauptungen die enge Verbindung zwischen der Kritik und dem Verlagsbuchhandel.
Ein Mann mit großen Aspirationen, der darauf ausging, ein Staatsmann zu werden, war zu jener Zeit jung, galant und Redakteur eines großen Blattes. Er wurde Hausfreund in einem berühmten Verlagshaus. Eines Tages, am Sonntag, auf dem Landsitz, in dem der splendide Buchhändler die Hauptredakteure der Zeitungen bewirtete, führte die Herrin des Hauses, die jung und hübsch war, den berühmten Schriftsteller in ihren Park. Der erste Kommis, ein kühler, gesetzter und methodischer Deutscher, der nur an die Geschäfte dachte, ging mit einem Feuilletonisten Arm in Arm im Park spazieren und plauderte über ein Unternehmen, über das er sich mit ihm beriet; das Gespräch führte sie aus dem Park heraus, und sie betreten ein Gebüsch. Im Dunkel eines Dickichts sieht der Deutsche etwas, was aussieht wie seine Herrin; er nimmt seine Lorgnette, macht dem jungen Redakteur ein Zeichen, still zu sein und sich zurückzuziehen, und entfernt sich dann selbst vorsichtig auf den Fußspitzen. »Was haben Sie gesehen?« fragte ihn der Schriftsteller. »Fast nichts«, antwortete er. »Unser großer Artikel geht durch. Morgen haben wir mindestens drei Spalten in den ›Débats‹.«
Eine andere Tatsache mag die Macht dieser Artikel erklären. Ein Buch Chateaubriands über den letzten Stuart lag in einem Magazin aufgestapelt und ging nicht. Ein einziger Artikel, den ein junger Mann im ›Journal des Débats‹ schrieb, bewirkte, daß das Buch in einer Woche verkauft war. In einer Zeit, wo man ein Buch, wenn man es lesen wollte, kaufen mußte und es nicht leihen konnte, wurden von gewissen liberalen Werken, die von allen Oppositionsblättern gerühmt wurden, zehntausend Exemplare abgesetzt; aber auch der belgische Nachdruck existierte noch nicht. Die vorläufigen Angriffe von Luciens Freunden und sein Artikel bewirkten, daß der Verkauf des Buches von Nathan ins Stocken kam. Nathan litt nur in seiner Eigenliebe, er hatte nichts zu verlieren, er war bezahlt; aber Dauriat konnte dreißigtausend Franken verlieren. In der Tat ist der Buchhandel, soweit er Neuheiten vertreibt, auf die folgende kaufmännische Formel zu bringen: Ein Ries Papier kostet fünfzehn Franken; ist es bedruckt, ist es je nach dem Erfolg hundert Sous oder hundert Taler wert. Ein Artikel für oder gegen entschied in jener Zeit oft die Finanzfrage. Dauriat, der fünfhundert Ries zu verkaufen hatte, eilte also herbei, um mit Lucien einen Friedensvertrag zu schließen. Der Verleger verwandelte sich aus einem Sultan in einen Sklaven. Nachdem er einige Zeit brummend gewartet, möglichst viel Lärm gemacht und mit Berenice hin und her verhandelt hatte, setzte er es durch, Lucien sprechen zu dürfen. Der stolze Buchhändler nahm die lächelnde Miene der Höflinge an, wenn sie zu Hofe gehen, aber sein Ausdruck
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