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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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meiner Meinung sein, wenn Sie Ihr Ebenbild heute sähen. Sie sehen sich nicht mehr ähnlich. Darin liegt unser einziges Unrecht. Aber unter Tausend findet sich nicht einer, der mit so viel Geist eine so merkwürdige Fähigkeit der Anpassung verbindet. Ich hätte nicht gedacht, daß Sie eine solche Ausnahme sind. Sie haben sich so rasch verwandelt, sich der Pariser Art und Weise so leicht angeschmiegt, daß ich Sie vor einem Monat im Bois de Boulogne nicht erkannt habe.«
    Lucien hörte dieser Dame mit unsagbarem Vergnügen zu. Sie brachte ihre schmeichelhaften Worte in einem so zutraulichen, kindlichen, schmollenden Ton vor, schien sich so angelegentlich für ihn zu interessieren, daß er an ein Wunder, ähnlich dem im Panorama Dramatique, glaubte. Seit jenem glücklichen Abend lächelte ihm alle Welt zu, er vermeinte, in seiner Jugend einen Talisman zu besitzen. So wollte er denn die Marquise auf die Probe stellen und nahm sich vor, sich keinerlei Überraschung anmerken zu lassen.
    »Und welches waren diese Pläne, gnädige Frau, die heute hinfällig geworden sind?«
    »Louise wollte vom König eine Ordonnanz erlangen, die Ihnen gestattet hätte, den Namen und Titel ›von Rubempré‹ zu tragen. Sie wollte den Chardon aus der Welt schaffen. Dieser Erfolg, der damals so leicht zu erlangen gewesen wäre und den Ihre Überzeugungen jetzt fast unmöglich gemacht haben, wäre ein großes Glück für Sie gewesen. Sie werden dieser Auffassung keinen großen Wert beilegen, aber wir kennen das Leben ein wenig und wissen, welche solide Grundlage ein Grafentitel bildet, der von einem eleganten, schönen jungen Mann getragen wird. Je nachdem hier vor ein paar jungen englischen Millionärinnen oder Erbinnen ›Herr Chardon‹ oder ›Herr Graf von Rubempré‹ angemeldet wird, macht es gleich eine ganz andere Wirkung. Der Graf würde, wenn er verschuldet ist, offene Herzen finden, seine ins rechte Licht gesetzte Schönheit wäre wie ein Diamant in prächtiger Fassung; Herrn Chardon würde man überhaupt nicht bemerken. Wir haben diese Anschauungen nicht hervorgerufen, wir finden sie überall herrschend, selbst in der Bürgerklasse. Sie wenden in diesem Augenblick dem Glück den Rücken zu. Sehen Sie sich diesen hübschen jungen Mann, den Vicomte Felix von Vandenesse an, er ist einer der beiden Privatsekretäre des Königs. Der König liebt junge Leute von Talent, und dieser hatte, als er aus der Provinz kam, ein ebenso leichtes Gepäck wie Sie, Sie haben tausendmal mehr Geist als er; aber gehören Sie einer großen Familie an? Haben Sie einen Namen? Sie kennen des Lupeaulx, sein Name ist ähnlich wie der Ihre, er heißt Chardin; aber er würde sein Landgut des Lupeaulx nicht für eine Million verkaufen, denn er wird eines Tages Graf des Lupeaulx heißen, und sein Enkel wird vielleicht ein großer Herr sein. Wenn Sie auf dem falschen Wege weitergehen, in den Sie hineingeraten sind, sind Sie verloren. Sehen Sie, Herr Emile Blondet ist so viel vernünftiger als Sie; er ist an einem Blatt, das die regierende Partei stützt, er ist bei allen Machthabern wohlgelitten, er kann sich ohne Gefahr unter die Liberalen mengen, denn er denkt, wie sichs gehört; er wird auch eines Tages zum Ziel gelangen, er hat seine Überzeugung und seine Gönner gut ausgewählt. Die hübsche Person, Ihre Nachbarin, ist ein Fräulein von Troisville, die zwei Pairs von Frankreich und zwei Deputierte in ihrer Familie hat; sie hat infolge ihres Namens eine reiche Heirat gemacht; sie empfängt viel, hat großen Einfluß und wird die politische Welt für diesen kleinen Herrn Blondet in Bewegung setzen. Wohin aber kommen Sie mit einer Coralie? Dazu, daß Sie in einigen Jahren von Schulden zugrunde gerichtet und von Vergnügungen erschöpft sein werden. Sie vergeben ihre Liebe sehr verkehrt und führen Ihr Leben verkehrt. Das sagte mir neulich in der Oper die Frau, die zu kränken Ihnen Vergnügen zu machen scheint. Sie beklagte den Mißbrauch, den Sie mit Ihrem Talent und Ihrer schönen Jugend treiben, aber sie dachte dabei nicht an sich, sondern an Sie.«
    »Ach, wenn Sie die Wahrheit sagten, Frau Marquise«, rief Lucien.
    »Und was sollte ich für ein Interesse daran nehmen, zu lügen?« versetzte die Marquise und warf Lucien einen hochmütigen und kalten Blick zu, der ihn ins Nichts zurückschleuderte.
    Lucien war bestürzt und knüpfte die Unterhaltung nicht wieder an, die Marquise tat beleidigt und sprach nicht mehr. Er ärgerte sich, aber er mußte

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