Verlorene Illusionen (German Edition)
Wenn ich Sie wahnsinnig liebte, das heißt genug, um Sie zu heiraten, so würde es mir doch schwer ankommen, Frau Chardon zu heißen. Geben Sie das zu? Jetzt haben Sie die Schwierigkeiten des Pariser Lebens kennen gelernt, Sie wissen, wie viele Umwege man machen muß, um zum Ziel zu gelangen: nun, gestehen Sie, daß Louise auf eine fast unmögliche Gunst für einen Unbekannten ohne Vermögen hoffte und daß sie nichts außer acht lassen durfte. Sie haben viel Geist, aber wenn wir lieben, haben wir noch mehr als der geistreichste Mann. Meine Cousine wollte diesen lächerlichen Châtelet dazu gebrauchen... Ich bin Ihnen Dank schuldig, Ihre Artikel gegen ihn haben mich zum Lachen gebracht«, unterbrach sie sich.
Lucien wußte nicht mehr, was er denken sollte. Er kannte die Tücken und Verrätereien des Journalismus, aber die der großen Welt waren ihm noch nicht vertraut. Er sollte trotz seiner Klugheit denn auch harte Lektionen bekommen.
»Wie denn, gnädige Frau,« sagte der Dichter, dessen Neugierde stark gereizt war, »steht der ›Reiher‹ nicht unter Ihrem Schutz?«
»Ich bitte Sie, in der Welt muß man oft seinen schrecklichsten Feinden Höflichkeiten erweisen, muß sich den Anschein geben, als amüsierten einen die, die einem langweilig sind, man muß oft die Freunde scheinbar opfern, um ihnen besser zu Diensten zu sein. Sie sind also noch ein rechter Neuling. Was! Sie wollen schreiben, und die gangbaren Betrügereien der großen Welt sind Ihnen unbekannt? Wenn meine Cousine Sie anscheinend dem ›Reiher‹ geopfert hat, mußte sie nicht so handeln, um seinen Einfluß zu Ihren Gunsten auszunutzen? Sie müssen wissen, daß unser Mann beim jetzigen Ministerium sehr gern gesehen ist. Im übrigen haben wir ihm klargemacht, daß ihm bis zu einem gewissen Grade Ihre Angriffe nützlich waren, damit man Sie beide eines Tages versöhnen kann. Man hat Châtelet für Ihre Verfolgungen schadlos gehalten. Wie des Lupeaulx zu den Ministern sagte: ›Während die Zeitungen Châtelet lächerlich machen, lassen sie das Ministerium in Ruhe.‹«
»Herr Blondet hat mich hoffen lassen, daß ich das Vergnügen haben werde, Sie bei mir zu sehen«, sagte die Gräfin Montcornet, während die Marquise Lucien seinen Gedanken überließ. »Sie werden einige Künstler bei mir finden, Schriftsteller, und eine Frau, die den lebhaftesten Wunsch hat, Sie kennen zu lernen, Fräulein des Touches, eins der seltensten Talente unter uns Frauen, bei der Sie sicher verkehren werden. Fräulein des Touches, Camille Maupin mit ihrem Schriftstellernamen, hat einen der bedeutendsten Salons in Paris, sie ist außerordentlich reich. Man hat ihr gesagt, daß Sie ebenso schön als geistreich sind, und sie stirbt vor Verlangen, Sie zu sehen.«
Lucien erging sich in Danksagungen und warf einen neidischen Blick auf Blondet. Es war ein so großer Unterschied zwischen einer Frau von der Art der Gräfin von Montcornet und Coralie wie zwischen Coralie und einem Mädchen der Straße. Diese Gräfin, jung und geistreich, hatte als besondere Schönheit den schimmernd weißen Teint der nordischen Frauen; ihre Mutter war eine geborene Prinzessin Scherbeloff; auch hatte ihr der Minister vor dem Diner besonders respektvolle Aufmerksamkeiten bezeigt.– Die Marquise hatte währenddessen mit verächtlicher Miene an einem Hühnerflügel genagt.
»Meine liebe Louise«, sagte sie zu Lucien, »hatte so viel Neigung für Sie. Ich war in ihr Vertrauen eingeweiht, welch schöne Zukunft sie für Sie erträumte! Sie hätte vieles für Sie ertragen, aber was haben Sie ihr für eine Verachtung bezeigt, als Sie ihr ihre Briefe zurückschickten! Grausamkeiten verzeihen wir – um uns zu verwunden, muß man noch an uns glauben – aber die Gleichgültigkeit! Die Gleichgültigkeit ist wie das Eis an den Polen, sie tötet alles. Geben Sie es zu, Sie haben sich durch eigene Schuld um Schätze gebracht. Warum brechen? Selbst wenn Sie verachtet worden wären, haben Sie denn nicht Ihr Glück zu machen, Ihren Namen zu erobern? Louise dachte an all dies.«
»Warum hat man mir nichts davon gesagt?« fragte Lucien. »Ich selbst habe ihr geraten, Sie nicht ins Vertrauen zu ziehen. Als ich sah, wie schlecht Sie sich in die Welt zu schicken verstanden, hatte ich Angst um Sie! Ich fürchtete, daß Ihre Unerfahrenheit, Ihr unbesonnener Eifer ihre Absichten und unsere Pläne vereiteln könnten. Können Sie sich heute noch an Ihre eigene Person von damals erinnern? Sagen Sie selbst, Sie würden
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