Verlorene Illusionen (German Edition)
unterstützt. In diesen zwei Monaten hat er mit den schönen Artikeln, die wir kennen, sein Probestück abgelegt: ich schlage vor, ihn jetzt feierlich als Journalisten zu taufen.«
»Einen Kranz aus Rosen, um seinen doppelten Sieg zu feiern«, rief Bixiou mit einem Blick auf Coralie. Coralie gab Berenice einen Wink, die in den Behältnissen der Schauspielerin alte künstliche Blumen suchen ging. Sowie das dicke Kammermädchen sie gebracht hatte, wurde schnell ein Kranz aus Rosen geflochten, und mit den übrigen schmückten sich die in der Gesellschaft, die am betrunkensten waren, grotesk genug heraus. Finot goß als Hohepriester einige Tropfen Champagner auf Luciens schönen Blondkopf und sprach dabei mit entzückender Würde die folgenden Einsetzungsworte: »Im Namen des Stempels, der Kaution und der Buße: ich taufe dich zum Journalisten. Mögen deine Artikel dir leicht sein!«
»Und mögen sie dir ohne Abzug der Zwischenräume bezahlt werden!« fügte Merlin hinzu.
In diesem Augenblick bemerkte Lucien die verdüsterten Gesichter von Michel Chrestien, Joseph Bridau und Fulgence Ridal, die ihre Hüte nahmen und fortgingen. Ein Sturm von Verwünschungen folgte ihnen.
»Kuriose Heilige«, sagte Merlin.
»Fulgence war ein guter Junge,« versetzte Lousteau, »aber sie haben ihn mit Moral verdorben.«
»Wer?« fragte Claude Vignon.
»Ernste junge Männer, die sich in einem philosophischen und religiösen Lokal in der Rue des Quatre-Vents versammeln, man grübelt dort über den allgemeinen Sinn der Menschheit«, antwortete Blondet. »Oh! oh! oh!«
»Man untersucht dort,« fuhr Blondet fort, »ob sie sich um sich selbst dreht oder ob sie im Fortschreiten ist. Sie schwankten sehr lange zwischen der geraden und der gekrümmten Linie, sie fanden den Unsinn des biblischen Dreiecks, bis ihnen irgendein Prophet, ich weiß nicht welcher, erschien, der sich für die Spirale aussprach.«
»Wenn Menschen sich vereinigen, können sie noch gefährlichere Dummheiten aushecken«, rief Lucien, der den Zirkel verteidigen wollte.
»Du nimmst diese Theorien für müßige Worte,« sagte Félicien Vernou, »aber es kommt der Augenblick, wo sie sich in Flintenschüsse oder in die Guillotine verwandeln.«
»Vorläufig sind sie nur dabei, zu erforschen, welchen Zweck die Vorsehung mit dem Champagnerwein verfolgte, oder welcher humanitäre Gedanke im Tragen langer Hosen liegt, oder das Geheimnis zu finden, das die Welt in Bewegung setzte. Sie richten große gefallene Männer wieder auf: Vico, Saint-Simon, Fourier. Ich habe große Angst, daß sie meinem braven Joseph Bridau den Kopf verdrehen.«
»Sie sind daran schuld,« sagte Lousteau, »daß mein Landsmann und Studienfreund Bianchon mich links liegen läßt...«
»Lehrt man dort die Gymnastik und Orthopädie der Geister?« fragte Merlin.
»Schon möglich,« meinte Finot, »da Bianchon auf ihre Phantastereien eingeht.«
»Nun, er wird nichtsdestoweniger ein großer Arzt werden«, sagte Lousteau.
»Ist ihr sichtbares Haupt nicht d'Arthez,« sagte Nathan, »ein junger Mensch, der uns einmal alle in den Sack steckt?«
»Er ist ein Genie«, rief Lucien.
»Ein Glas Sherry ist mir lieber«, sagte Claude Vignon lächelnd.
Nun war der Zeitpunkt gekommen, wo jeder seinem Nachbarn seinen Charakter erklären wollte. Wenn Leute von Geist erst dahin gekommen sind, sich selbst zu erklären, den Schlüssel ihres Herzens zu geben, so steht es fest, daß die Betrunkenheit Herr über sie geworden ist. Eine Stunde später waren alle Gäste die besten Freunde der Welt und behandelten sich gegenseitig als große Männer, als starke Geister, als solche, denen die Zukunft gehört. Lucien hatte sich in seiner Eigenschaft als Gastgeber noch einige Helligkeit des Denkens bewahrt: er hörte Sophismen an, die sein Inneres trafen und das Werk seines moralischen Verfalles vollendeten.
»Kinder,« rief Finot, »die liberale Partei ist genötigt, ihre Polemik wieder anzufachen, und sie befindet sich in einer großen Verlegenheit, weil zurzeit nichts gegen die Regierung zu sagen ist. Wer von euch will eine Broschüre schreiben, um die Wiederherstellung des Erstgeburtsrechts zu verlangen, damit wir gegen die geheimen Absichten des Hofes losziehen können? Die Broschüre soll gut bezahlt werden.«
»Ich,« sagte Hector Merlin, »das trifft sich mit meinen Ansichten.«
»Deine Partei wird sagen, du kompromittierst sie«, erwiderte Finot. »Übernimm du diese Broschüre, Félicien, Dauriat wird sie
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