Verlorene Illusionen (German Edition)
eine große Dame. Ihre Trauer zeigte eine Anmut und so viel ausgesuchten Geschmack, daß man wohl merkte, sie war eine glückliche Witwe. Lucien glaubte, an dieser Koketterie nicht unbeteiligt zu sein, und täuschte sich nicht; aber er hatte, wie der Riese im Märchen, frisches Fleisch gekostet und schwankte während des ganzen Abends zwischen der schönen, hingebenden, wollüstigen Coralie und der trockenen, hochmütigen und grausamen Louise. Er vermochte keinen Entschluß zu fassen, die Schauspielerin nicht der großen Dame zum Opfer zu bringen. Dieses Opfer erwartete Frau von Bargeton, die jetzt Liebe für Lucien empfand, als sie ihn so geistvoll und so schön sah, während des ganzen Abends; aber sie kam mit ihren versteckten Worten und koketten Mienen nicht auf ihre Kosten, und als sie dann den Salon verließ, hatte sie den unwiderruflichen Vorsatz gefaßt, sich zu rächen.
»Sieh da, lieber Lucien,« sagte sie zu ihm mit einer pariserisch anmutigen Liebenswürdigkeit und Vornehmheit, »Sie hätten mein Stolz sein sollen, und Sie haben aus mir Ihr erstes Opfer gemacht. Ich habe Ihnen verziehen, mein Kind, da ich meinte, in solch einer Rache müßte ein Rest Liebe versteckt sein.«
Frau von Bargeton hatte durch diesen schönen Satz, den sie mit dem Lächeln einer Königin begleitete, den Sieg gewonnen. Lucien, der tausendmal recht zu haben geglaubt hatte, sah sich ins Unrecht versetzt. Es war keine Rede mehr von dem schrecklichen Abschiedsbrief, wodurch er den Bruch herbeigeführt hatte, noch von dessen Beweggründen. Die Frauen der großen Welt haben ein wunderbares Talent, das Unrecht, das sie begangen haben, wegzuscherzen. Sie können alles mit einem Lächeln, mit einer Frage, mit der sie die Erstaunte spielen, wieder auslöschen. Sie erinnern sich an nichts, sie erklären alles, sie sind erstaunt, sie fragen, sie kommentieren, sie werden weitschweifig, sie streiten, und schließlich haben sie ihr Unrecht entfernt, wie man einen Flecken mit ein bißchen Seife auswäscht: sie waren ohne Zweifel schwarz gewesen, aber in einem Augenblick werden sie weiß und unschuldig. Und der Mann ist dann immer sehr glücklich, daß das Verbrechen, das er begangen hat, nicht unverzeihlich ist. In einem Augenblick hatten Lucien und Louise ihre Illusionen über sich selbst wiedererlangt, sie führten wieder die Sprache der Freundschaft; aber Lucien, der von befriedigter Eitelkeit und von Coralie trunken war, die, geben wir es zu, ihm das Leben bequem machte, brachte es nicht über sich, auf die Frage, die Louise mit einem versteckten Seufzer begleitete: »Sind Sie glücklich?« eine entscheidende Antwort zu geben. Ein melancholisches »Nein« hätte sein Glück gemacht. Er glaubte etwas recht Gescheites zu tun, als er zur Antwort anfing, über Coralies Wesen zu reden; er sagte, er würde um seiner selbst willen geliebt, kurz, brachte all die Dummheiten des Verliebten vor. Frau von Bargeton biß sich auf die Lippen. Alles war entschieden. Frau d'Espard trat mit Frau von Montcornet an ihre Cousine heran. Lucien sah sich sozusagen als Helden des Abends: er wurde von diesen drei Frauen, die ihn mit überaus großer Kunst umgarnten, umschmeichelt und gefeiert. Sein Erfolg in dieser Welt der Schönheit und des Glanzes war nicht geringer als in der Welt des Journalismus. Das schöne Fräulein des Touches, das unter dem Namen Camille Maupin so berühmt war und dem die Marquise d'Espard und Frau von Bargeton Lucien vorstellten, lud ihn für einen ihrer Mittwoche zum Diner ein und schien von seiner berühmten Schönheit einen starken Eindruck zu haben. Lucien versuchte zu zeigen, daß sein Geist noch bedeutender war als seine Schönheit. Fräulein des Touches drückte ihre Bewunderung mit der naiven Freude und den hübschen oberflächlichen Freundschaftsbezeigungen aus, auf die alle die hereinfallen, die das pariser Leben, in dem man sich fortwährend aus den Genüssen nach dem Genuß sehnt, nicht von Grund aus kennen.
»Wenn ich ihr so gut gefiele, wie sie mir,« sagte Lucien zu Rastignac und Herrn von Marsay, »könnte der Roman schnell zustande kommen.«
»Sie schreiben beide zu gut Romane, als daß Sie einen miteinander erleben wollten«, erwiderte Rastignac. »Können sich Schriftsteller und Schriftstellerinnen lieben? Es kommt immer ein Augenblick, wo man sich kleine Bosheiten sagt.«
»Die Sache wäre gar nicht so übel«, sagte Herr von Marsay lachend zu ihm. »Das reizende Mädchen ist allerdings dreißig Jahre alt; aber es
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