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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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unmöglich, zu erkennen, wann Frau von Bargeton sich ihm näherte oder sich verletzt von ihm entfernte, ihm verzieh oder ihn von neuem verdammte. Châtelet bemerkte die Aussichten, die sein Nebenbuhler immer noch besaß, und machte sich zu Luciens Freund, um ihn bei dem verschwenderischen Leben festzuhalten, das seine Energie zugrunde richten mußte. Rastignac, der auf seinen Landsmann eifersüchtig war und überdies in dem Baron einen sichereren und nützlicheren Bundesgenossen fand als in Lucien, schloß sich der Rache Châtelets an. Daher hatte Rastignac wenige Tage, nachdem der Petrarca und die Laura von Angoulême wieder zusammengekommen waren, den Dichter und den alten Gecken aus der Kaiserzeit bei Gelegenheit eines üppigen Soupers im Rocher de Cancale miteinander versöhnt. Lucien, der immer morgens nach Hause ging und mitten am Tag aufstand, fand in sich keine Kraft zum Widerstand gegen die immer bereite Liebe, die zu Hause ihn erwartete. So wurde seine Energie immer wieder von der Trägheit geschwächt. Er vergaß die guten Vorsätze, welche er in den Augenblicken faßte, wo er seine Lage in ihrem wahren Lichte sah, bald genug und konnte sich bald auch dem stärksten Druck des Elends nicht mehr entgegenstemmen. Coralie war anfangs sehr glücklich gewesen, daß Lucien sich so gut amüsierte; sie sah in dieser Zerstreuung ein Unterpfand für die Dauer seiner Neigung, fand in ihr auch äußerliche Bande in Gestalt der Bedürfnisse, die sie mit sich brachte, und hatte ihn so auf seinen Wegen ermuntert; aber schließlich fand dieses sanfte, zarte Mädchen doch den Mut, ihrem Geliebten anzuempfehlen, er sollte die Arbeit nicht vergessen, und war öfters genötigt, ihm zu sagen, er hätte in diesem Monat wenig Einnahmen gehabt. Der Dichter und seine Geliebte stürzten sich mit erschreckender Geschwindigkeit in Schulden. Die fünfzehnhundert Franken, der Rest von dem Honorar der ›Margueriten‹, und die ersten fünfhundert Franken, die Lucien eingenommen hatte, waren rasch verzehrt gewesen. In einem Vierteljahr brachten ihm seine Artikel nur tausend Franken, und er glaubte riesig gearbeitet zu haben. Aber schon hatte sich Lucien die heitere Weisheit der Lebemänner bezüglich der Schulden zu eigen gemacht. Schulden bedeuten bei jungen Leuten von fünfundzwanzig Jahren eine Liebenswürdigkeit; später verzeiht sie ihnen niemand. Es ist zu bemerken, daß gewissen wahrhaft poetischen Gemütern, die aber einen schwachen Willen haben und deren Beruf die Empfindung ist, damit sie ihre Eindrücke in Bilder umgestalten können, der moralische Sinn, der jede Beobachtung begleiten muß, fast ganz fehlt. Die Dichter empfangen lieber in sich Eindrücke, als daß sie sich in andere hineinversetzen, um dort den Mechanismus der Empfindungen zu studieren. So gab sich Lucien keine Rechenschaft über solche Lebemänner, die eines Tages verschwanden, er sah nicht die Zukunft dieser vermeinten Freunde, von denen die einen Erbschaften in Aussicht, die andern gewisse Hoffnungen, diese anerkannte Talente, jene den unerschütterlichsten Glauben an ihr Schicksal hatten oder mit der bewußten Absicht umgingen, die Gesetze zu umgehen. Lucien glaubte an seine Zukunft, indem er den weisen Sprüchen Blondets vertraute: »Alles macht sich schließlich. Bei Leuten, die nichts haben, ist alles in Ordnung. Wir können nur das Vermögen verlieren, das wir suchen! Wer mit dem Strom schwimmt, gelangt schließlich irgendwohin. Ein Mann von Geist, der in der großen Welt Fuß gefaßt hat, macht sein Glück, wann er will!«
    Diesen so ganz mit Vergnügen ausgefüllten Winter benutzten Théodore Gaillard und Hector Merlin dazu, die Kapitalien zu finden, die zur Gründung des ›Réveil‹ erforderlich waren, dessen erste Nummer erst im März 1822 erschien. Das Geschäft kam bei Frau du Val-Noble zustande. Diese elegante und geistvolle Kurtisane übte einen gewissen Einfluß auf die Bankiers, die vornehmen Herren und die Schriftsteller der royalistischen Partei aus, die alle daran gewöhnt waren, in ihren prächtigen Räumen zusammenzukommen, um gewisse Geschäfte ins reine zu bringen, die nur hier erledigt werden konnten. Hector Merlin, dem man den Chefredakteurposten des ›Réveil‹ versprochen hatte, sollte Lucien, der sein intimer Freund geworden war, zu seiner rechten Hand machen; und ebenso war Lucien das Feuilleton eines der ministeriellen Blätter zugesagt worden. Diese Frontänderung Luciens bereitete sich langsam vor, während er sich den

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