Verlorene Illusionen (German Edition)
Genüssen des Lebens hingab. Der junge Mensch, der fast noch ein Kind war, hielt sich für einen Politiker, wenn er diese plötzliche Schwenkung verheimlichte, und rechnete stark auf die ministerielle Freigebigkeit, um seine Schulden zu bezahlen und die geheimen Sorgen Coralies verscheuchen zu können. Die Schauspielerin lächelte immer und verbarg ihren Kummer; aber Berenice war kühner und schenkte Lucien reinen Wein ein. Wie alle Dichter war das angehende Genie einen Augenblick über dies Mißgeschick ganz trostlos, versprach zu arbeiten, vergaß sein Versprechen wieder und ertränkte seine flüchtige Bekümmernis in Ausschweifungen. Sowie Coralie Wolken auf der Stirn ihres Geliebten bemerkte, schalt sie mit Berenice und sagte ihrem Dichter, es würde alles in Ordnung kommen. Frau d'Espard und Frau von Bargeton wollten, wie sie sagten, die Schwenkung Luciens abwarten, um den Minister durch Châtelet um die ersehnte Ordonnanz zum Zweck der Namensänderung bitten zu lassen. Lucien hatte versprochen, seine ›Margueriten‹ der Marquise d'Espard zu widmen, und sie schien über eine Auszeichnung, die die Schriftsteller nur noch selten gewähren, seit sie eine Macht geworden sind, sehr erfreut. Wenn Lucien abends zu Dauriat ging und sich erkundigte, wie es mit seinem Buche stünde, sagte ihm der Verleger schwerwiegende Gründe, warum die Drucklegung verzögert werden müßte. Dauriat hätte die und die Unternehmung vor, die alle seine Zeit in Anspruch nähme: ein neuer Band von Canalis sollte herauskommen, und er dürfte nicht gleichzeitig kommen; die zweiten ›Meditationen‹ des Herrn von Lamartine wären unter der Presse, und zwei bedeutsame Gedichtbücher dürften nicht zur selben Zeit erscheinen,»überhaupt sollte der Dichter sich völlig auf seinen geschickten Verleger verlassen. Indessen wurden die Bedürfnisse Luciens so dringend, daß er seine Zuflucht zu Finot nahm, der ihm etwas Vorschuß auf Artikel gab. Als der Dichterjournalist am Abend beim Souper seinen Freunden, den Lebemännern, seine Lage darlegte, ertränkten sie seine Besorgnisse in Strömen Champagner, den sie mit Späßen kühlten. Schulden! Es gibt keine starken Männer ohne Schulden! Schulden repräsentieren befriedigte Bedürfnisse, unumgängliche Laster. Ein Mann setzt sich nur durch, wenn er von der eisernen Hand der Notwendigkeit vorwärts getrieben wird.
»Den großen Männern das dankbare Leihhaus!« rief Blondet ihm zu.
»Alles wollen heißt: alles schulden«, sagte Bixiou.
»Nein. Alles schulden heißt: alles gehabt haben«, erwiderte des Lupeaulx.
Die Lebemänner bewiesen diesem Knaben, seine Schulden wären der goldene Sporn, mit dem er die vor den Wagen seines Glücks gespannten Pferde stachelte. Dann kam Cäsar mit seinen vierzig Millionen Schulden, und Friedrich II., der von seinem Vater einen Dukaten monatlich bekam, und immer die berühmten, verderblichen Beispiele der großen Männer, die in ihren Fehlern gezeigt werden und nicht in der Allmacht ihres Mutes und ihrer Gedankenwelt! Schließlich wurden der Wagen, die Pferde und die Möbel Coralies von mehreren Gläubigern gepfändet; die Summen, um die es sich handelte, beliefen sich auf viertausend Franken. Als Lucien zu Lousteau eilte, um ihn um die tausend Franken zu ersuchen, die er ihm geborgt hatte, zeigte Lousteau ihm Stempelpapiere, aus denen hervorging, daß es Florine ebenso ging wie Coralie; aber der dankbare Lousteau schlug ihm vor, die nötigen Schritte zu unternehmen, ihm den ›Bogenschützen Karls IX.‹unterzubringen.
»Wie ist Florine in diese Lage gekommen?« fragte Lucien.
»Der Matifat wollte nicht mehr mitmachen,« erwiderte Lousteau, »wir haben ihn verloren, aber wenn Florine will, soll er seinen Verrat teuer bezahlen! Ich erzähle dir die Geschichte später.«
Drei Tage nach dem vergeblichen Schritt, den Lucien bei Lousteau versucht hatte, frühstückten die beiden Liebenden traurig am Kamin ihres schönen Schlafzimmers; Berenice hatte ihnen auf der Kaminplatte Eier gekocht, denn die Köchin, der Kutscher, alle Leute waren weg. Es war unmöglich, die gepfändeten Möbel einzulösen. Es gab in der Wohnung kein Stück von Gold oder Silber und nichts mehr, was Wert hatte; all das hatte sich in Pfandscheine verwandelt, die ein kleines, sehr lehrreiches Oktavbändchen bildeten. Berenice hatte zwei Bestecke zurückbehalten. Das ›Kleine Blatt‹ leistete Lucien und Coralie unschätzbare Dienste, indem es durch seine Existenz dafür sorgte, daß der
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