Verlorene Illusionen (German Edition)
Trinker waren. Als Verschwender führten sie eine wahnsinnige Existenz; die stärksten Späße waren ihnen gerade gut genug; sie schreckten vor keiner Unmöglichkeit zurück, prahlten mit ihren schlimmsten Streichen, die indessen in einer Hinsicht eine Grenze fanden: was sie auch taten, in allem war origineller Geist, und es war unmöglich, ihnen irgend etwas nicht zu verzeihen. Nichts spricht so deutlich von dem Helotentum, zu dem die Restauration die Jugend verdammt hatte. Die jungen Leute, die nicht wußten, was sie mit ihrer Kraft anfangen sollten, warfen sie nicht nur in den Journalismus, die Verschwörungen, die Literatur und die Kunst, sie verschwendeten sie auch in den absonderlichsten Ausschweifungen, so viel Jugendübermut, Feuer und schäumende Kraft gab es im jungen Frankreich. Wenn sie arbeitete, wollte diese Jugend Macht und Vergnügen, war sie künstlerisch tätig, wollte sie Schätze; war sie müßig, wollte sie ihre Leidenschaften beleben; auf jede Weise wollte sie Raum, und die Politik gab ihr keinen. Die Lebemänner besaßen fast alle ungewöhnliche Gaben; einige haben sie in diesem aufreibenden Leben verloren, andere haben ihm Widerstand geleistet. Der berühmteste ihrer und der geistvollste, Rastignac, lenkte schließlich unter der Leitung Marsays in eine ernsthafte Laufbahn ein, in der er sich ausgezeichnet hat. Die Späße, denen sich diese jungen Leute überließen, sind so berühmt geworden, daß sie den Stoff zu mehreren Vaudevilles geliefert haben. Lucien, der durch Blondet in diese Gesellschaft von Verschwendern eingeführt worden war, glänzte dort neben Bixiou, einem der boshaftesten Geister und unermüdlichsten Spötter dieser Zeit. Während des ganzen Winters lebte Lucien auf diese Weise in einem ununterbrochenen Rausch, der nur von den leichten Arbeiten des Journalismus unterbrochen wurde; er führte die Reihe seiner kleinen Artikel fort und gab sich die größte Mühe, von Zeit zu Zeit ein paar schöne kritische Seiten, die er ernsthaft überlegt hatte, zu schreiben. Aber es war eine Ausnahme, wenn er zum Studium kam, der Dichter gab sich ihm nur hin, wenn die Notwendigkeit dazu zwang; die Dejeuners, die Diners, die Vergnügungen, die Abendgesellschaften der vornehmen Welt, das Spiel nahmen seine ganze Zeit in Anspruch, und was übrigblieb, nahm Coralie. Lucien verbot sich, an den kommenden Tag zu denken. Er sah übrigens, daß seine vermeinten Freunde ihr Leben ebenso führten wie er; die Kosten trugen Buchhändlerprospekte, die hoch bezahlt wurden, Prämien, die für gewisse Artikel bezahlt wurden, wenn sie für waghalsige Spekulationen gebraucht wurden, man lebte von der Hand in den Mund und kümmerte sich wenig um die Zukunft. Nachdem Lucien in den Journalismus und die Literatur aufgenommen worden war und auf dem Fuße der Gleichheit behandelt wurde, bemerkte er, wie ungeheuer schwer der Sieg wäre, wenn er sich erheben wollte: jeder war damit einverstanden, ihn als Gleichen neben sich zu sehen, keiner wollte ihn über sich sehen. Unmerklich verzichtete er also auf den literarischen Ruhm; er glaubte, in der Politik wäre das Glück leichter zu erlangen.
»Die Intrige erregt weniger die Leidenschaft gegen sich, als das Talent, ihre unterirdischen Schleichwege erregen niemandes Aufmerksamkeit«, sagte eines Tages Châtelet, mit dem Lucien sich wieder versöhnt hatte, zu ihm. »Die Intrige ist überdies dem Talent überlegen: sie macht aus nichts etwas, während meistens die ungeheuren Kräfte des Talents den Menschen nur unglücklich machen.«
In diesem Leben, in dem eine Ausschweifung der andern folgte und die Arbeit immer auf den nächsten Tag verschoben wurde, verfolgte Lucien also seinen Hauptgedanken: er war fortwährend in der großen Welt, machte Frau von Bargeton, der Marquise d'Espard, der Gräfin von Montcornet den Hof und versäumte keinen Abend bei Fräulein des Touches, vor einem Vergnügen oder nach einem Diner, das von Schriftstellern oder Verlegern veranstaltet wurde, erschien er in der vornehmen Welt; er verließ die Salons und begab sich zu einem Souper, das die Frucht irgendeiner Wette war; die Unkosten der Pariser Konversation und das Spiel nahmen die paar Gedanken und Kräfte, die seine Ausschweifungen ihm ließen, in Anspruch. Der Dichter verfügte nicht mehr über den hellen Geist und den kühlen Kopf, der nötig ist, um seine Umgebung zu beobachten und den ausgesuchten Takt anzuwenden, den die Emporkömmlinge in jedem Augenblick gebrauchen; es war ihm
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