Verlorene Illusionen (German Edition)
hat fast achtzigtausend Livres Jahreseinkommen. Sie ist entzückend launisch, und sie hat eine Schönheit von der Art, die sich lange hält. Coralie ist eine kleine Närrin, lieber Freund, und ist nur dazu gut, Ihnen ein gewisses Ansehen zu geben; denn ein hübscher Junge darf nicht ohne Geliebte sein; aber wenn Sie keine Schönheit in der vornehmen Welt eroberten, müßte die Schauspielerin Ihnen auf die Länge von Schaden sein. Also drauf, mein Lieber! Stechen Sie Conti aus, der mit Camille Maupin singen wird. Zu allen Zeiten hat die Poesie vor der Musik den Vortritt gehabt.«
Als Lucien Fräulein des Touches und Conti zusammen nennen hörte, verflogen seine Hoffnungen.
»Conti singt zu gut«, sagte er zu des Lupeaulx.
Lucien trat wieder zu Frau von Bargeton, die ihn in den Salon führte, in dem die Marquise d'Espard sich befand.
»Nun, wollen Sie sich nicht für ihn interessieren?« fragte Frau von Bargeton ihre Cousine.
»Aber Herr Chardon«, erwiderte die Marquise mit einem Gesicht, das zugleich hochmütig und freundlich war, »muß sich erst in die Lage bringen, daß man ihn protegieren kann, ohne Unannehmlichkeiten zu haben. Muß er nicht, wenn er die Ordonnanz erlangen will, die ihm gestattet, den armseligen Namen seines Vaters mit dem seiner Mutter zu vertauschen, wenigstens einer der Unserigen sein?«
»Vor Ablauf von zwei Monaten habe ich alles in Ordnung gebracht«, erwiderte Lucien.
»Schön,« sagte die Marquise; »ich besuche meinen Vater und meinen Onkel, die im Dienste des Königs stehen, sie werden mit dem Kanzler von Ihnen sprechen.«
Der Diplomat und die beiden Frauen hatten Luciens empfindliche Stelle gut herausgefunden. Dieser Dichter, der von dem aristokratischen Glanz geblendet war, fühlte sich unglaublich gedemütigt, wenn er sich Chardon nennen hörte, während er in diesen Salons nur Männer klangvollen Namens sah, die in hohe Titel eingerahmt waren. Dieses Leidwesen wiederholte sich seit einigen Tagen überall, wo er sich zeigte. Er verspürte übrigens ein ebenso unangenehmes Gefühl, wenn er in der großen Welt gewesen war, in der er dank der Equipage und den Leuten Coralies angemessen aufzutreten in der Lage war, und dann am nächsten Tage wieder zu den Geschäften seines Handwerks hinuntersteigen mußte. Er nahm Reitunterricht, um neben dem Wagen der Marquise d'Espard, des Fräuleins des Touches und der Gräfin Montcornet einhergaloppieren zu können, um welches Vorrecht er die vornehmen jungen Männer bei seiner Ankunft in Paris so beneidet hatte. Finot verschaffte seinem Hauptmitarbeiter mit Vergnügen freien Zutritt in der Großen Oper, in der Lucien nunmehr viele Abende vergeudete. Aber er gehörte von jetzt an zur eleganten Welt dieser Zeit. Als der Dichter sich bei Rastignac und seinen Freunden mit einem glänzenden Dejeuner revanchierte, beging er den Fehler, es bei Coralie zu geben; denn er war zu jung, zu sehr Dichter und zu vertrauensselig, um sich auf gewisse Schattierungen des Benehmens zu verstehen; und konnte eine Schauspielerin, die ein treffliches Mädchen war, aber keine Bildung besaß, ihn das Leben kennen lehren? Der Provinzler verriet so diesen jungen Leuten, die im stillen alle schlecht auf ihn zu sprechen waren, die untrennbare Gemeinschaft auch in Geldangelegenheiten, die zwischen der Schauspielerin und ihm bestand, worauf jeder junge Mann heimlich neidisch ist und worüber sie untereinander alle schimpften. Der noch am nämlichen Abend am grausamsten darüber spottete, war Rastignac, der sich zwar durch ähnliche Mittel in der großen Welt hielt, aber den äußeren Anstand so gut zu wahren wußte, daß er die böse Nachrede als Verleumdung hinstellen konnte. Lucien hatte das Whist rasch erlernt. Das Spiel wurde bei ihm zur Leidenschaft. Coralie wollte jede Eifersucht vermeiden und hütete sich, Lucien zu tadeln; so begünstigte sie seine Ausschweifungen mit der Blindheit, wie sie den leidenschaftlichen Naturen eigen ist, die nie etwas anderes sehen als die Gegenwart und dem Genuß des Augenblicks alles, selbst die Zukunft, zum Opfer bringen. Die wahre Liebe hat in allen Stücken die größte Ähnlichkeit mit der Kindheit: sie hat all ihre Unbedachtsamkeit und Sorglosigkeit, ihre Verschwendung, ihr Lachen und Weinen.
Zu der Zeit gab es eine Gesellschaft von jungen Leuten, die bald reich, bald arm, alle aber Müßiggänger, Lebemänner genannt wurden und die in der Tat mit einer unglaublichen Unbekümmertheit lebten, starke Esser und noch stärkere
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