Verlorene Illusionen (German Edition)
verstehen:
»Wenn der Verleger Dauriat fortfährt, die Sonette des künftigen französischen Petrarca nicht zu drucken, werden wir zeigen, daß wir edelmütige Feinde sind, und werden diesen Gedichten unsere Spalten öffnen. Nach dem folgenden zu urteilen, das uns ein Freund des Dichters mitteilt, scheinen sie ja sehr pikant zu sein.«
Unter dieser schrecklichen Ankündigung las der Dichter das folgende Sonett, über das er heiße Tränen vergoß:
Auf einem Beet in voller Blüte sproß
Ein Pflänzlein kümmerlich und zweifelhaft,
Das sich gebärdete, als ob sein Schaft
Ein Wunder künft'ger Farbenpracht umschloß.
So ließ man es denn stehn! Doch bald verdroß
Sein Üppigtun mit aufgeblähter Kraft
Die stolzen Schwestern, die ihm Raum verschafft,
Und alle harrten, daß es sich erschloß.
Da blühte es. Doch nie ward ein Patron
So überschüttet mit Gespött und Hohn,
Als man verlachte das gemeine Kraut.
Bald ward es ausgerissen, wie es Brauch,
Ein Esel schrie auf seinem Grabe laut,
Denn es war wirklich nur ein Distelstrauch. [Fußnote: Distel aber heißt auf französisch ›chardon‹, und so lautet auch im Original der Schlußreim des Spottgedichts, so daß der Name des Opfers den Kundigen preisgegeben war. ]
Vernou sprach von der Spielleidenschaft Luciens und machte im voraus darauf aufmerksam, sein Roman ›Der Bogenschütze‹ werde ein vaterlandsfeindliches Werk sein, in dem der Verfasser die Partei der katholischen Massenmörder gegen die kalvinistischen Opfer nähme. Im Laufe von acht Tagen wurde diese Fehde immer giftiger. Lucien hatte auf seinen Freund Lousteau gerechnet, der ihm tausend Franken schuldete und mit dem er geheime Verabredungen getroffen hatte; aber Lousteau wurde Luciens erklärter Feind, aus folgenden Gründen. Seit drei Monaten liebte Nathan Florine und wußte nicht, wie er sie Lousteau, dessen guter Engel sie übrigens war, wegnehmen sollte. In der Verzweiflung und der Trostlosigkeit, in der sich diese Schauspielerin befand, die ohne Engagement war, suchte Nathan, Luciens Mitarbeiter, Coralie auf und bat sie, Florine eine Rolle in einem Stück von ihm anzubieten, wobei er es auf sich nahm, der stellungslosen Schauspielerin ein Probeengagement am Gymnase zu verschaffen. Florine, die der Rausch des Ehrgeizes überkam, zögerte nicht. Sie hatte Zeit genug gehabt, Lousteau zu beobachten. Nathan war voller literarischem und politischem Ehrgeiz, hatte so viel Energie wie Bedürfnisse, während die Laster in Lousteau den Willen töteten. Die Schauspielerin, die in neuem Glanze wieder auf der Bühne auftreten wollte, lieferte Nathan die Briefe des Drogisten aus, und Nathan verkaufte sie gegen den Sechstelanteil der von Finot geleiteten Zeitschrift an Matifat. Florine hatte jetzt eine prächtige Wohnung in der Rue Hauteville und nahm Nathan zum Schützer gegen den ganzen Journalismus und die Welt des Theaters. Lousteau wurde von diesem Ereignis so hart getroffen, daß er am Ende eines Diners, das seine Freunde ihm gaben, um ihn zu trösten, zu weinen anfing. Bei diesem Gelage fanden die Teilnehmer, daß Nathan nur seinen Vorteil gewahrt hätte. Einige Schriftsteller, wie Finot und Vernou, hatten von der Leidenschaft des Dramaturgen für Florine gewußt, aber alle sagten sie, Lucien hätte sich, indem er in diesem Handel den Kuppler machte, gegen die heiligsten Gesetze der Freundschaft vergangen. Der Parteigeist, der Wunsch, seinen neuen Freunden zu dienen, waren keine Entschuldigungen für den neugebackenen Royalisten.
»Nathan ist von der Logik der Leidenschaft fortgerissen; aber dieser ›große Mann aus der Provinz‹, wie Blondet ihn nennt, folgt seinen Berechnungen«, rief Bixiou.
So wurde denn das Verderben Luciens, dieses Eindringlings, dieses Gernegroß, der alle Welt verschlingen wollte, einstimmig beschlossen und gründlich hin und her überlegt. Vernou, der Lucien haßte, versprach, im Kampf gegen ihn nicht locker zu lassen. Um Lousteau die tausend Taler nicht zahlen zu müssen, klagte Finot Lucien an, er habe ihn dadurch, daß er Nathan das Geheimnis der Operation gegen Matifat verriet, um einen Gewinn von fünfzigtausend Franken gebracht. Nathan aber hatte auf den Rat Florinens dafür gesorgt, daß ihm Finots Beistand nicht verloren ging, und hatte ihm das Sechstelchen für fünfzehntausend Franken verkauft. Lousteau, der seine tausend Taler verlor, verzieh Lucien diese ungeheure Schädigung seiner Interessen nicht. Die Wunden der Eigenliebe werden unheilbar,
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