Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
wenn das Oxyd des Geldes in sie eindringt. Kein Ausdruck, keine Schilderung kann die Wut wiedergeben, die über die Schriftsteller kommt, wenn ihre Eigenliebe leidet; und ebenso über alles Beschreiben groß ist die Energie, die sie in dem Augenblick zur Verfügung haben, wo sie sich von den Giftpfeilen des Spottes getroffen fühlen. Die, deren Energie und deren Widerstand durch den Angriff sofort gereizt werden, unterliegen schnell. Die Ruhigen, deren Plan erst nach dem völligen Vergessen gefaßt wird, dem ein beleidigender Artikel schnell verfällt, entfalten den wahren literarischen Mut. So scheinen die Schwachen im ersten Augenblick die Starken zu sein; aber ihr Widerstand dauert nur eine Zeitlang. In den ersten Tagen ließ Lucien voller Wut einen Hagel von Artikeln in den royalistischen Zeitungen los, in denen er das Amt der Kritik mit Hector Merlin teilte. Jeden Tag feuerte er von der Schanze des ›Réveil‹ all seinen Geist gegen seine Feinde ab und wurde dabei übrigens von Martainville unterstützt, der der einzige war, der ihm ohne Hintergedanken beistand, und den man nicht in das Geheimnis der Abmachungen einweihte, die mit allerlei Scherzen nach dem Trinken oder in den Galeries de Bois bei Dauriat und hinter den Kulissen zwischen den Journalisten beider Parteien, die die Kameradschaft heimlich verband, geschlossen worden war. Wenn Lucien in das Foyer des Vaudeville kam, wurde er nicht mehr als Freund behandelt, nur die Leute seiner Partei gaben ihm die Hand, während Nathan, Hector Merlin, Théodore Gaillard, ohne sich zu genieren, mit Finot, Lousteau, Vernou und andern solchen Journalisten, die man alle gute Jungen nannte, auf vertrautem Fuße standen. In dieser Zeit war das Foyer des Vaudeville der Hauptplatz des Literaturklatsches, eine Art Boudoir, in dem Leute aller Parteien, Politiker und Beamte, verkehrten. Wenn in irgendeinem amtlichen Bureau der Präsident einem untergebenen Kollegen gegenüber den Tadel ausgesprochen hatte, er lasse seinen Talar hinter den Kulissen eines Theaters schleifen, so traf es sich wohl, daß sein Talar mit dem des Getadelten im Foyer des Vaudeville zusammentraf. Lousteau reichte dort schließlich Nathan die Hand. Finot kam fast jeden Abend hin. Wenn Lucien Zeit hatte, ging er hin, um die Stimmung seiner Gegner kennen zu lernen, und der unglückliche junge Mann mußte stets eine unversöhnliche Kälte an ihnen bemerken.
    Zu jener Zeit erzeugte der Parteigeist viel ernsthaftere Gehässigkeiten als heutzutage. Heutigestags hat sich im Laufe der Zeit im Getriebe infolge der zu großen Anspannung der Feder alles milder gestaltet. Heute reicht die Kritik einem Manne, dessen Buch sie auf ihrem Altar geopfert hat, die Hand. Das Opfer muß den Opferer umarmen, wenn er nicht die Spießruten des Spottes laufen will. Wenn ein Schriftsteller nicht so verfährt, kommt er in den Ruf der Unliebenswürdigkeit, wird er ein unverträglicher Mensch, ein krasser Egoist, ein unzugänglicher, gehässiger, nachtragender Kerl genannt. Hat heutzutage ein Schriftsteller die Stiche des verräterischen Dolches in den Rücken bekommen, ist er den Netzen, die mit niederträchtiger Heuchelei gestellt worden sind, entronnen, ist er der schlimmsten Behandlung ausgesetzt gewesen, dann muß er zusehen und stillhalten, wenn seine Mörder ihm guten Tag sagen und Anspruch auf seine Achtung, sogar auf seine Freundschaft machen. Alles wird in einer Zeit, wo man die Tugend in Laster verwandelt, wie man gewisse Laster zu Tugenden erhoben hat, entschuldigt und gerechtfertigt. Die Kameradschaft ist von allen Freiheiten die geheiligtste geworden. Politische Führer, die einander schroff gegenüberstehen, sprechen zueinander in Worten ohne Schärfe oder mit höflichen Spitzen. In jener Zeit erforderte es – vielleicht erinnert sich der eine oder der andere noch daran – für manche royalistische und für manche liberale Schriftsteller Mut, sich im selben Theater zu treffen. Man konnte die gehässigsten Herausforderungen zu hören bekommen. Die Blicke waren geladen wie Pistolen, der geringste Funke konnte das Losplatzen eines heftigen Streites herbeiführen. Wer hat nicht seinen Nachbarn in Verwünschungen ausbrechen hören, wenn einige Männer eintraten, die den Angriffen einer der beiden Parteien besonders ausgesetzt waren? Es gab damals nur zwei Parteien, die Royalisten und die Liberalen, die Romantiker und die Klassiker, das war beides derselbe Haß unter zwei verschiedenen Formen, ein Haß, angesichts

Weitere Kostenlose Bücher