Verlorene Illusionen (German Edition)
dessen man die Schafotte der Konventszeit begriff. Lucien, der sich aus dem Liberalen und fanatischen Voltairianer, der er anfangs gewesen war, in einen wütenden Royalisten und Romantiker verwandelt hatte, stand also unter dem Gewicht der Feindseligkeit, das über dem Kopf des Mannes hing, der von den Liberalen der Zeit am meisten verabscheut wurde –: über dem Kopf von Martainville, der der einzige war, der ihn verteidigte und liebte. Dieses Zusammenhalten schädigte Lucien. Die Parteien sind gegen ihre vorgeschobenen Posten undankbar. Sie nennen sie oft sentimental ihre »verlorenen Kinder«, aber sie geben sie mit Willen preis. Insbesondere in der Politik müssen die, die sich durchsetzen wollen, sich zur Hauptmasse der Armee halten. Das Bösartigste, was die kleinen Blätter taten, war, Lucien und Martainville zusammenzukoppeln. Der Liberalismus warf sie einander in die Arme. Diese angebliche oder wirkliche Freundschaft trug ihnen gallige Artikel ein, die Félicien Vernou geschrieben hatte, der über die Erfolge, die Lucien in der vornehmen Gesellschaft errang, außer sich war und, wie alle früheren Kameraden des Dichters, an seine demnächst bevorstehende Erhebung in den Adelsstand glaubte. Der angebliche Verrat des Dichters wurde jetzt noch viel schlimmer hingestellt und mit sehr erschwerenden Umständen ausgeschmückt. Lucien wurde der kleine Judas und Martainville der große Judas genannt, denn Martainville wurde mit Recht oder Unrecht beschuldigt, er hätte während des Krieges den feindlichen Armeen die Brücke von Pecq ausgeliefert. Lucien machte des Lupeaulx gegenüber lachend den Scherz, was ihn angehe, habe er ohne Zweifel die Eselsbrücke geliefert. Luciens üppiges Leben, obwohl es hohl und auf Hoffnungen gegründet war, empörte seine Freunde, die ihm weder seine Equipage verziehen, denn für sie fuhr er noch immer in der Equipage, noch den Glanz seiner Wohnung in der Rue de Vendòme. Alle fühlten instinktiv, daß ein Mann, der jung, schön, geistvoll und von ihnen verdorben war, es weit bringen mußte; daher waren ihnen alle Mittel gut genug, um ihn zu stürzen.
Einige Tage vor dem ersten Auftreten Coralies im Gymnase ging Lucien Arm in Arm mit Hector Merlin im Foyer des Vaudeville auf und ab. Merlin schalt seinen Freund aus, daß er Nathan in der Sache mit Florine beigestanden hätte.
»Sie haben sich Lousteau und Nathan beide zu Todfeinden gemacht. Ich hatte Ihnen gute Ratschläge gegeben. Sie haben sie aber nicht benutzt. Sie sind mit dem Lob verschwenderisch gewesen und haben Wohltaten um sich gestreut; Sie werden für Ihre guten Taten grausam bestraft werden. Florine und Coralie werden auf derselben Bühne nie gut miteinander auskommen: die eine wird immer die andere übertreffen wollen. Sie haben nur unsere Zeitungen, die für Coralie eintreten können; Nathan verfügt außer dem Vorteil, den ihm sein Beruf als Verfasser von Stücken verschafft, in Theaterangelegenheiten über die liberalen Zeitungen, und er steht viel länger im Journalismus als Sie.«
Diese Worte sprachen Luciens geheime Befürchtungen aus, denn er fand weder bei Nathan noch bei Gaillard die offene Freundschaft, auf die er Anspruch zu haben glaubte; aber er konnte sich nicht beklagen, er war ja erst so neu bekehrt! Gaillard ließ das Lucien deutlich fühlen, er sagte ihm, die Neulinge müßten lange Zeit hindurch Pfänder geben, ehe ihre Partei ihnen ganz trauen könnte. Der Dichter stieß in den Redaktionen der royalistischen und ministeriellen Zeitungen auf eine Eifersucht, an die er nie gedacht hatte, auf jene nämlich, die zwischen allen Menschen ausbricht, wenn es irgendeine Pastete zu teilen gibt: sie werden dann alle zu Hunden, die sich um einen Knochen streiten, sie geben dasselbe Knurren von sich, nehmen dieselbe Stellung ein und offenbaren denselben Charakter. Diese Schriftsteller spielten einander im geheimen tausend schlimme Streiche, um sich gegenseitig in den Augen der Machthaber zu schaden; jeder beschuldigte den andern, er wäre lau, und sie nahmen zu den niederträchtigsten Manövern ihre Zuflucht, um sich eines Konkurrenten zu entledigen. Die Liberalen hatten keine derartige Ursache zu inneren Kämpfen, da sie von der Macht und ihren Annehmlichkeiten weit entfernt waren. Lucien hatte angesichts dieses unentwirrbaren Netzes von ehrgeizigen Manövern weder den Mut, das Schwert zu ziehen und den Knoten zu durchhauen, noch die Geduld, ihn allmählich aufzulösen; er konnte weder der Aretino noch der
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