Verlorene Illusionen (German Edition)
und giftige Artikel bereitete den Liberalen und der Partei Louis Philipps große Freude; Lucien amüsierte sich darüber, ohne etwas anderes darin zu sehen als eine sehr feine Ente. Am nächsten Tage ging er, des Lupeaulx und den Baron du Châtelet abzuholen. Der Baron kam eben von der Visite zurück, die er Seiner Herrlichkeit gemacht hatte, um seinen Dank abzustatten. Der Herr Châtelet war zum Titularrat und zum Grafen ernannt worden, und man hatte ihm versprochen, er sollte die Präfektur der Charente erhalten, sowie der jetzige Präfekt noch die paar Monate in Diensten gewesen wäre, die noch nötig waren, damit er mit voller Pension verabschiedet werden könnte. Der Graf du Châtelet, denn das ›du‹ war ausdrücklich in die Ordonnanz aufgenommen worden, nahm Lucien in seinen Wagen und behandelte ihn sehr kameradschaftlich. Ohne die Artikel Luciens wäre er vielleicht nicht so rasch ans Ziel gelangt; die Verfolgung, die er von seiten der Liberalen erlitt, hatte ihm ein besonderes Ansehen gegeben. Des Lupeaulx war im Ministerium im Kabinett des Generalsekretärs. Beim Anblick Luciens trat dieser Beamte erstaunt zurück und sah des Lupeaulx an.
»Wie, mein Herr! Sie wagen es, hierher zu kommen?« sagte der Generalsekretär zu Lucien, der ganz starr vor Staunen war. »Seine Herrlichkeit hat Ihre Ordonnanz, die schon vorbereitet war, in Stücke zerrissen, sehen Sie!« Er wies auf das erste beste Stück Papier, das in vier Teile zerrissen war. »Der Minister wollte den Verfasser des entsetzlichen Artikels von gestern kennen, und hier ist das Manuskript des Artikels.« Damit überreichte der Generalsekretär Lucien die geschriebenen Blätter des Artikels, den er verfaßt hatte. »Sie nennen sich Royalist, Herr, und sind Mitarbeiter dieses niederträchtigen Blättchens, das den Ministern graue Haare macht, die Männer, die treu zur Regierung halten, in Kummer und Ärger versetzt und uns dem Abgrund entgegenführt. Sie frühstücken vom ›Corfaire‹, vom ›Miroir‹, vom ›Constitutionnel‹, vom ›Courrier‹; Sie dinieren von der ›Quotidienne‹, vom ›Réveil‹, und Sie soupieren mit Martainville, der der schrecklichste Gegner des Ministeriums ist und den König zum Absolutismus drängt, was genau ebenso schnell zur Revolution führen würde, wie wenn er sich der extremen Linken fügte! Sie sind ein sehr witziger Journalist, aber Sie werden nie ein Politiker werden. Der Minister hat Sie dem König als Verfasser des Artikels genannt, und der hat in seinem Zorn den Herzog von Navarreins, seinen ersten Kammerherrn, gescholten. Sie haben sich um so empfindlichere Feinde gemacht, je günstiger sie Ihnen gesinnt waren! Was bei einem Feind natürlich scheint, ist bei einem Freund furchtbar.«
»Aber sind Sie denn ein Kind, mein Lieber?« rief des Lupeaulx. »Sie haben mich heillos kompromittiert. Die Marquise d'Espard, Frau von Bargeton und Frau von Montcornet, die für Sie gebürgt hatten, müssen wütend sein. Der Herzog hat sicher seinen Zorn an der Marquise ausgelassen, und die Marquise muß böse auf ihre Cousine sein. Gehen Sie nicht hin! Warten Sie! Da kommt Seine Herrlichkeit, gehen Sie!« rief der Generalsekretär.
Lucien stand auf der Place de Vendôme, und es war ihm, als hätte er einen Schlag über den Kopf bekommen. Er ging zu Fuß über die Boulevards und versuchte, wieder zu sich zu kommen. Er sah sich als den Spielball neidischer, gieriger und treuloser Menschen. Was war er in dieser Welt der Ehrsucht? Ein Kind, das hinter den Freuden und Genüssen der Eitelkeit herlief und ihnen alles opferte; ein Dichter ohne gründliche Überlegung, der wie ein Schmetterling von Licht zu Licht flog, keinen festen Plan hatte, der Sklave der Umstände war, richtig dachte und falsch handelte. Sein Gewissen war ein unbarmherziger Richter. Überdies hatte er kein Geld mehr und fühlte sich von Arbeit und Kummer aufgerieben. Man brachte seine Artikel erst nach denen von Merlin und Nathan. So in sein Nachdenken versunken, ging er aufs Geratewohl weiter; in einigen Lesekabinetten, die anfingen, nicht bloß Zeitungen, sondern auch Bücher zur Lektüre auszulegen, sah er ein Plakat hängen, auf dem unter einem kuriosen Titel, der ihm völlig unbekannt war, sein Name stand: ›Von Lucien Chardon von Rubempré.‹ Sein Werk war erschienen, er hatte nichts davon gewußt, die Zeitungen schwiegen. Er blieb unbeweglich, die Arme hingen ihm herunter, und er achtete nicht auf eine Gruppe höchst eleganter junger Leute,
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