Verlorene Illusionen (German Edition)
auf Grund einer Bestimmung des Handelsgesetzbuchs, welche die Rechte der Akzeptanten schädigt, die auf diese Weise der Wohltat des Zieles beraubt werden, fällig waren. Gegen Lucien wurde also von Camusot der Wechselprozeß angestrengt. Als die Schauspielerin diesen Namen sah, verstand sie, welchen schrecklichen, demütigenden Schritt ihr Dichter aus Liebe zu ihr getan hatte; sie liebte ihn darum zehnmal mehr und wollte Camusot nicht bitten. Als die Häscher des Schuldgerichts ihren Gefangenen holen wollten, fanden sie ihn im Bett und sahen ein, daß sie ihn nicht mitnehmen konnten; bevor sie den Gerichtspräsidenten fragten, in welches Spital sie den Schuldner einliefern sollten, begaben sie sich zu Camusot. Dieser eilte sofort nach der Rue de la Lune. Coralie ging hinunter, und als sie wieder in ihrer Wohnung war, hielt sie die Wechsel in der Hand, auf Grund von deren Indossament Lucien vom Gericht als Kaufmann behandelt worden war. Wie hatte sie diese Papiere von Camusot erhalten? Welches Versprechen hatte sie gegeben? Sie bewahrte darüber das düsterste Schweigen; aber sie war fast tot wieder heraufgekommen. Coralie spielte in dem Stück von Camille Maupin und trug viel zu diesem Erfolg der berühmten Schriftstellerin bei. Die Verkörperung dieser Rolle war der letzte Funke dieser schönen Flamme. Bei der zwanzigsten Aufführung, zu der Zeit, wo Lucien wiederhergestellt war, anfing herumzugehen und zu essen, und davon sprach, bald wieder zu arbeiten, wurde Coralie krank: ein geheimer Kummer zehrte an ihr. Berenice hatte immer geglaubt, daß sie, um Lucien zu retten, versprochen hatte, zu Camusot zurückzukehren. Die Schauspielerin mußte die Kränkung erleben, daß ihre Rolle Florine gegeben wurde. Nathan erklärte für den Fall, daß Florine nicht die Rolle von Coralie übernähme, dem Gymnase den Krieg. Coralie spielte also die Rolle bis zum letzten Augenblick, um sie nicht ihrer Rivalin zu überlassen, und spannte ihre Kräfte zu sehr an. Das Gymnase hatte ihr während Luciens Krankheit einige Vorschüsse gegeben, sie konnte an der Theaterkasse nichts mehr verlangen; trotz allem guten Willen war Lucien noch nicht imstande zu arbeiten, er pflegte übrigens Coralie, um Berenice die Arbeit zu erleichtern; der ärmliche Haushalt kam jetzt also in völligen Verfall. Er hatte indessen das Glück, in Bianchon einen geschickten und aufopfernden Arzt zu finden, der ihm bei einem Apotheker Kredit verschaffte. Die Lage Coralies und Luciens wurde den Lieferanten und dem Hausbesitzer bald bekannt. Die Möbel wurden gepfändet. Die Schneiderin und der Schneider, die jetzt den Journalisten nicht mehr fürchteten, trieben nun energisch ihre Forderungen gegen die beiden Bohemiens ein. Schließlich gaben nur noch der Apotheker und der Schlächter den unglücklichen jungen Menschen Kredit. Lucien, Berenice und die Kranke hatten fast eine Woche lang nichts als Schweinefleisch in all den mannigfaltigen Formen zu essen, das der Schlächter ihnen gab. Das Schweinefleisch, das seiner Natur nach entzündlich ist, verschlimmerte die Krankheit der Schauspielerin. Lucien war gezwungen, in seiner Not zu Lousteau zu gehen, um die tausend Franken zu fordern, die dieser frühere Freund, der Verräter, ihm schuldete. Lousteau konnte nicht mehr seine Wohnung in der Rue de la Harpe betreten, er wohnte bei seinen Freunden, er wurde wie ein Hase verfolgt und umstellt. Lucien konnte den für ihn verhängnisvollen Mann, der ihn in die literarische Welt eingeführt hatte, nur bei Flicoteaux finden. Lousteau aß an dem nämlichen Tisch, an dem Lucien ihn zu seinem Unglück an dem Tage getroffen, wo er sich von d'Arthez entfernt hatte. Lousteau lud ihn zum Mittagessen ein, und Lucien nahm an! Als beim Aufbrechen Claude Vignon, der an diesem Tage auch da saß, Lousteau, Lucien und der große Unbekannte, der seine Garderobe wieder zu Samanon gebracht hatte, ins Café Voltaire gehen wollten, um eine Tasse Kaffee zu trinken, konnten sie aus den Geldstücken, die sie alle miteinander in der Tasche hatten, nicht dreißig Sous zusammenbringen. Sie bummelten ins Luxembourg, wo sie einen Buchhändler zu treffen hofften, und sie begegneten in der Tat einem der berühmtesten Drucker der Zeit, den Lousteau um vierzig Franken bat, die er auch von ihm erhielt. Lousteau teilte die Summe in vier gleiche Teile, und jeder der Schriftsteller nahm einen. Das Elend hatte bei Lucien jeden Stolz, jede Empfindung ausgelöscht; er weinte vor diesen drei Künstlern, als er
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