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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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und fiel um.
    »Ist er tot?« fragte Michel.
    »Nein,« sagte der Wundarzt, »er wird davonkommen.«
    »Um so schlimmer«, erwiderte Michel.
    »Oh! Ja! Um so schlimmer!« wiederholte Lucien und weinte bittere Tränen.
    Gegen Mittag war der unglückliche junge Mensch in seinem Zimmer und auf sein Bett gelegt; man hatte fünf Stunden und große Vorsicht gebraucht, um ihn zu transportieren. Obwohl keine Gefahr zu befürchten stand, war Vorsicht geboten: das Fieber konnte schlimme Komplikationen bringen. Coralie unterdrückte ihre Verzweiflung und ihren Kummer. In der ganzen Zeit, solange ihr Freund in Gefahr schwebte, durchwachte sie mit Berenice die Nächte und lernte ihre Rollen. Die Gefahr für Lucien dauerte zwei Monate. Das arme Mädchen spielte manchmal eine lustige Rolle, mährend sie sich innerlich sagen mußte: »In diesem Augenblick stirbt vielleicht mein lieber Lucien.«
    Während dieser ganzen Zeit wurde Lucien von Bianchon gepflegt; er verdankte der Aufopferung dieses Freundes, der so stark gegen ihn eingenommen sein mußte, dem aber d'Arthez den geheimen Zusammenhang von Luciens Vorgehen gegen ihn zur Rechtfertigung des unglücklichen Dichters anvertraut hatte, sein Leben. In einem lichten Augenblick – denn Lucien hatte ein sehr gefährliches Nervenfieber – befragte Bianchon, der d'Arthez im Verdacht einer großmütigen Unwahrheit hatte, seinen Patienten. Lucien sagte ihm, er hätte keinen anderen Artikel über das Buch von d'Arthez geschrieben als den ernsthaft kritischen, der in dem Blatt von Hector Merlin gestanden hatte.
    Am Ende des ersten Monats erklärte das Haus Fendant & Cavalier seine Insolvenz. Bianchon bat die Schauspielerin, diesen schweren Schlag Lucien zu verheimlichen. Der schöne Roman ›Der Bogenschütze Karls IX.‹, der unter einem verrückten Titel veröffentlicht worden war, hatte gar keinen Erfolg gehabt. Um sich vor der Eröffnung des Konkurses Geld zu verschaffen, hatte Fendant hinter dem Rücken Cavaliers das Werk im ganzen an Krämer verkauft, die es mit Hilfe der Kolportage billig wiederverkauften. Jetzt zierte Luciens Buch die Brückenbrüstungen und die Kais von Paris. Die Buchhandlung vom Quai des Augustins, die eine gewisse Zahl Exemplare des Romans übernommen hatte, mußte also infolge der plötzlichen Herabsetzung des Preises eine beträchtliche Summe verlieren: die vier Quartbände, für die sie vier Franken fünfzig Centimes bezahlt hatte, wurden für fünfzig Sous abgegeben. Der Buchhandel schrie laut auf, und die Zeitungen fuhren fort, das tiefste Stillschweigen zu bewahren. Barbet hatte dieses Verramschen nicht vorausgesehen; er glaubte an Luciens Talent. Gegen alle seine Gewohnheiten hatte er sich auf zweihundert Exemplare verstiegen; und die Aussicht auf einen Verlust machte ihn wütend. Er schimpfte furchtbar auf Lucien. Barbet faßte einen heroischen Entschluß: er ließ in einem Eigensinn, der bei Geizigen nicht selten ist, seine Exemplare in einem Winkel seines Magazins und überließ es seinen Kollegen, ihre Exemplare zu Spottpreisen zu verschleudern. Als später, im Jahre 1824 die schöne Vorrede von d'Arthez, der Wert des Buches und zwei Artikel, die Léon Giraud schrieb, dem Werke zur rechten Geltung verholfen hatten, verkaufte Barbet seine Exemplare das Stück zum Preis von zehn Franken. Ungeachtet der Vorsichtsmaßregeln von Berenice und Coralie ließ sich Hector Merlin nicht davon abhalten, seinen sterbenden Freund zu besuchen. Und er ließ ihn Tropfen für Tropfen den bittern Kelch dieser Bouillon trinken; ›Bouillon‹ nennt man nämlich im Pariser Buchhandel eben die traurige Operation, die Fendant & Cavalier bei der Veröffentlichung dieses Buches eines Anfängers vorgenommen hatten. Martainville, der einzige, der Lucien treu geblieben war, schrieb einen prächtigen Artikel zugunsten des Werkes; aber die Erbitterung gegen den Chefredakteur des ›Aristarque‹, der ›Oriflamme‹ und des ›Drapeau blanc‹ war bei Liberalen und Ministeriellen dermaßen groß, daß der Beistand dieses tapfern Athleten, der dem Liberalismus für eine Beleidigung stets zehn zurückgab, Lucien schadete. Kein Blatt hob den Handschuh der Polemik auf, so lebhaft auch die Angriffe des royalistischen Bravos waren. Coralie, Berenice und Bianchon schlossen allen sogenannten Freunden Luciens, die sehr darüber empört waren, die Tür; aber es war nicht möglich, sie den Gerichtsvollziehern zu verschließen. Der Konkurs von Fendant & Cavalier bewirkte, daß ihre Wechsel

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