Verlorene Illusionen (German Edition)
Lucien Chardon befugt sein sollte, den Namen und Titel der Grafen von Rubempré in seiner Eigenschaft als Enkel von Mutterseite des letzten Grafen zu tragen. Meine Cousine hatte sich zum Glück Ihres Sonetts über die Lilie erinnert und hatte es dem Herzog mitgegeben, und das hat dem König besonders wohlgefallen.«
Lucien war so überströmend glücklich, daß eine Frau, die weniger tief gekränkt war als Louise d'Espard von Négrepelisse, hätte gerührt werden müssen. Luciens Schönheit erregte ihren Rachedurst nur um so mehr. Des Lupeaulx hatte recht, es fehlte Lucien an Spürsinn: er ahnte nicht, daß die Ordonnanz, von der man ihm sprach, nur eine Erfindung von der Art war, wie die Marquise d'Espard sie gerne machte. Er war durch diesen Erfolg und durch die schmeichelhafte Auszeichnung, die ihm Fräulein des Touches bezeigte, kühn geworden und blieb bis zwei Uhr morgens da, um mit ihr noch unter vier Augen sprechen zu können. Lucien hatte auf den Redaktionen der royalistischen Zeitungen gehört, Fräulein des Touches wäre die ungenannte Mitarbeiterin an einem Stück, in dem das große Wunder der Zeit, die kleine Fay, auftreten sollte. Als die Salons leer waren, geleitete er Fräulein des Touches zu einem Sofa in ihrem Boudoir und erzählte ihr Coralies und sein Unglück auf eine so rührende Weise, daß dieses berühmte Mannweib ihm versprach, sie wolle die führende Rolle Coralie geben.
Am Tage nach dieser Gesellschaft las Lucien, als er mit Coralie, die über das Versprechen des Fräuleins des Touches glücklich und dem Leben wieder zurückgegeben war, beim Frühstück saß, das Blatt Lousteaus, in dem der boshafte Bericht über die Anekdote stand, die über den Justizminister und seine Frau erfunden worden war. Die schwärzeste Bosheit verbarg sich darin unter dem schneidendsten Witz. Der König Ludwig XVIII. spielte darin eine Rolle und war mit größter Kunst lächerlich gemacht worden, ohne daß das Gericht einschreiten konnte. Es handelte sich um folgende Behauptung, der die liberale Partei den Mantel der Wahrheit umhängen wollte, während sie in Wirklichkeit nur die Zahl ihrer witzigen Verleumdungen vermehrt hat.
Die Leidenschaft Ludwigs XVIII. für einen galanten und poesieduftenden Briefwechsel voller Madrigale und hochtrabender Bilder wurde in dem Artikel als die letzte Ausdrucksform seiner Liebe gedeutet, die anfinge, doktrinär zu werden; er ginge, hieß es, von der Tat zur Idee über. Die berühmte Mätresse, die Béranger so grausam unter dem Namen Octavia angegriffen hatte, hätte angefangen, die schlimmsten Befürchtungen zu hegen. Ihre Korrespondenz mit ihm wäre nahe am Einschlafen. Je mehr Geist Octavia entfaltete, um so kälter und matter würde ihr Geliebter. Octavia hätte endlich die Ursache entdeckt, warum sie nicht mehr in Gunst stehe, ihre Macht wäre von den Erstlingsblüten und duftenden Spezereien eines neuen Briefwechsels des königlichen Briefstellers mit der Frau des Justizministers bedroht. Man glaubte von dieser trefflichen Dame, daß sie nicht imstande wäre, auch nur ein kurzes Briefchen zu schreiben, sie müßte ganz einfach der verantwortliche Redakteur für einen verwegenen Ehrgeizigen sein. Wer konnte sich unter diesem Unterrock verstecken? Nach einigen Forschungen entdeckte Octavia, daß der König mit seinem Minister korrespondierte. Ihr Plan ist fertig. Unterstützt von einem treuen Freund, sorgt sie eines Tages dafür, daß der Minister durch eine stürmische Diskussion in der Kammer zurückgehalten wird, und verschafft sich ein Tête-a-tête, in dem sie die Eitelkeit des Königs aufs höchste reizt. Ludwig XVIII. bekommt einen echt bourbonischen und königlichen Zornanfall, er wütet gegen Octavia, er zweifelt; Octavia schlägt einen sofortigen Beweis vor, indem sie ihn bittet, eine Zeile zu schreiben, die unverzüglich eine Antwort verlangt. Die unglückliche Frau, die so überrumpelt wird, will ihren Mann in der Kammer aufsuchen lassen; aber es war für alles vorgesorgt, und er stand in diesem Augenblick auf der Tribüne. Die arme Frau schwitzt Wasser und Blut, sucht all ihren Witz zusammen und antwortet mit dem Geist, den sie hat. »Ihr Kanzler mag Ihnen das übrige sagen«, rief Octavia und lacht über die Enttäuschung des Königs.
Obwohl dieser Artikel erlogen war, traf er den Justizminister, seine Frau und den König sehr empfindlich. Des Lupeaulx, dem Finot das Geheimnis immer bewahrt hat, hatte, wie man sagt, die Anekdote erfunden. Dieser witzige
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