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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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frühere Freund Coralies war großmütig genug, Lucien beizustehen. Diese schreckliche Lage dauerte zwei Monate, in denen Lucien fortwährend mit gestempelten Papieren zu tun hatte, die er auf Camusots Empfehlung an Desroches, einen Freund von Bixiou, Blondet und des Lupeaulx, sandte.
    Anfangs August sagte Bianchon dem Dichter, Coralie wäre verloren, sie hätte nur noch einige Tage zu leben. Berenice und Lucien brachten diese furchtbaren Tage mit Weinen zu und konnten dem armen Mädchen, das um Luciens willen in Verzweiflung war, daß es sterben sollte, ihre Tränen nicht verbergen. Coralie kehrte wieder zu ihrem Kinderglauben zurück und verlangte, daß Lucien ihr einen Priester hole. Die Schauspielerin wollte sich mit der Kirche versöhnen und im Frieden sterben. Sie hatte ein christliches Ende, ihre Reue war aufrichtig. Dieser Todeskampf und dieses Sterben nahmen Lucien vollends seine Kraft und seinen Mut. Der Dichter saß völlig zusammengebrochen auf einem Stuhl am Fuß von Coralies Bett und blickte nicht von ihr weg bis zu dem Augenblick, wo die Hand des Todes ihr die Augen brach. Es war um fünf Uhr morgens. Ein Vogel setzte sich auf einen der Blumentöpfe, die vor dem Fenster standen, und sang ein Liedchen. Berenice kniete vor dem Bett nieder und küßte Coralies Hand, die unter ihren Tränen kalt wurde. Es waren nur noch elf Sous in der Wohnung. Lucien verließ das Haus, die Verzweiflung sagte ihm, er müßte betteln gehen, um seine Geliebte begraben zu können, oder sich der Marquise d'Espard, dem Grafen du Châtelet, der Frau von Vargeton, dem Fräulein des Touches oder Herrn von Marsay, dem schrecklichen Stutzer, zu Füßen werfen; er fühlte keinen Stolz und keine Kraft mehr in sich. Um Geld zu bekommen, hätte er sich als Soldat anwerben lassen! Er begab sich in der den Unglücklichen eigenen gebeugten und aufgelösten Haltung in das Haus Camille Maupin, betrat es, ohne auf den vernachlässigten Zustand seines Anzuges zu achten, und bat, empfangen zu werden.
    »Das Fräulein hat sich um drei Uhr morgens hingelegt, und niemand darf es wagen, sie zu stören, bevor sie geklingelt hat«, erwiderte der Kammerdiener. »Wann klingelt sie Ihnen?«
    »Nie vor zehn Uhr.«
    Nunmehr schrieb Lucien einen der furchtbaren Briefe, in denen die vornehmen Bettler sich gänzlich preisgeben. Eines Abends hatte er die Möglichkeit einer derartigen Erniedrigung bezweifelt, als Lousteau ihm von den Bitten gesprochen hatte, die junge Talente an Finot richteten, und jetzt ging seine Feder vielleicht über die Grenzen hinaus, bis zu denen das Elend seine Vorgänger gebracht hatte. Als er sinnlos und fiebernd über die Boulevards zurückging, ohne das schreckliche Meisterstück zu ahnen, das ihm die Verzweiflung eingeben sollte, traf er Barbet.
    »Barbet, fünfhundert Franken!« rief er ihm zu und streckte die Hand aus. »Nein, zweihundert«, erwiderte der Buchhändler. »Ach! so haben Sie also ein Herz?«
    »O ja, aber ich habe auch ein Geschäft. Sie sind schuld, daß ich viel Geld verliere,« fügte er hinzu, nachdem er ihm von dem Konkurs von Fendant & Cavalier erzählt hatte, »Sie müssen mir also welches zu verdienen geben.«
    Lucien schauderte.
    »Sie sind Dichter, Sie müssen sich auf jede Art Verse verstehen«, fuhr der Buchhändler fort. »Ich brauche jetzt gerade Trinklieder, die ich unter ein paar Lieder, die ich von verschiedenen Dichtern genommen habe, stecken kann, um nicht als Nachdrucker verfolgt zu werden und eine nette Liedersammlung für zehn Sous auf den Straßen verkaufen zu können. Wenn Sie morgen zehn feine Trinklieder oder ein bißchen so was Saftiges schicken wollen ... ja, wahrhaftig, dann gebe ich Ihnen zweihundert Franken.«
    Lucien ging nach Hause. Coralie lag steif ausgestreckt auf einem Gurtbett, sie war in ein schlechtes Bettuch gehüllt, das Berenice unter Tränen genäht hatte. Die Normannin hatte an den vier Enden dieses Bettes vier Kerzen angesteckt. Auf Coralies Gesicht leuchtete die strahlende Schönheit, die zu den Lebenden so stark spricht und eine völlige Ruhe kündet; sie sah aus wie die jungen Mädchen, die die Bleichsucht haben; manchmal schien es, als ob diese violetten Lippen sich öffnen und ›Lucien‹ flüstern wollten, den Namen, den sie zusammen mit dem Namen Gottes noch ausgesprochen hatte, bevor sie ihr Leben aushauchte. Lucien gab Berenice den Auftrag, sie sollte beim Beerdigungsinstitut ein Begräbnis bestellen, das, das Totenamt in der armseligen Kirche Bonne-Nouvelle

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