Verlorene Illusionen (German Edition)
Müllerin an und lächelte in einer Weise, die jede Sorge zerstreute.
»Frau Courtois,« sagte er, »wenn Sie, wie ich nicht zweifle, eine gute Flasche Wein im Keller haben und in Ihrem Fischbehälter einen guten Aal, dann bringen Sie das Ihrem Patienten, dem weiter nichts fehlt, als daß er zerschlagen ist. Wenn er das überstanden hat, wird unser großer Mann schnell wieder auf den Beinen sein.«
»Ach, lieber Herr,« sagte Lucien, »mein Leiden sitzt nicht im Körper, sondern in der Seele; dieser wackere Mann hat ein Wort gesprochen, das mich fast umgebracht hat, denn er sagte mir, daß es im Hause meiner Schwester, Frau Séchard, schlimm steht! Um Gottes willen, klären Sie mich auf, ich habe von Frau Courtois gehört, daß Sie Ihre Tochter an Postel verheiratet haben. Sie müssen doch etwas von der Angelegenheit David Séchards wissen.«
»Ja, er wird im Gefängnis sein«, antwortete der Arzt. »Sein Vater hat es abgelehnt, ihm zu helfen...«
»Im Gefängnis!... Und warum?«
»Wegen Wechseln, die aus Paris kamen und die er ohne Frage vergessen hatte, denn es heißt ja, er wisse nicht so recht Bescheid in seinen Geschäften«, erwiderte Herr Marron.
»Ich bitte Sie, lassen Sie mich mit dem Geistlichen allein«, sagte der Dichter, dessen Gesichtsausdruck sich furchtbar verdüstert hatte.
Der Arzt, der Müller und seine Frau begaben sich hinaus.
Als Lucien sich mit dem alten Priester allein sah, rief er: »Ich verdiene den Tod, und ich fühle ihn kommen. Ich bin ein Elender, dem nichts mehr übrigbleibt, als sich in die Arme der Religion zu werfen. Ich, hochwürdiger Herr, ich bin der Henker meiner Schwester und meines Bruders, denn David Séchard ist wie ein Bruder zu mir! Ich habe die Wechsel gefälscht, die David nicht bezahlen konnte... ich habe ihn ruiniert. Das schreckliche Elend, in dem ich mich befand, hat mich dieses Verbrechen vergessen lassen. Die Prozesse, zu denen diese Wechsel Anlaß gaben, sind durch das Eingreifen eines Millionärs niedergeschlagen worden, und ich hatte geglaubt, er hätte sie eingelöst: es war also nichts damit!«
Und Lucien erzählte all sein Unglück. Als er seinen fieberhaften Bericht, der der Art nach, wie er gegeben wurde, eines Dichters würdig war, beendet hatte, bat er den Geistlichen, nach Angoulême zu gehen und sich bei Eva, seiner Schwester, und Frau Chardon, seiner Mutter, über den wahren Stand der Dinge zu unterrichten, damit er erführe, ob noch Hilfe möglich sei.
»Bis zu Ihrer Rückkehr, hochwürdiger Herr,« sagte er und vergoß dabei heiße Tränen, »werde ich leben können. Wenn meine Mutter, meine Schwester und David mich nicht zurückstoßen, werde ich nicht sterben.«
Die pariserische Beredsamkeit, die Tränen dieser erschreckenden Reue, der schöne, blasse Jüngling, der vor Verzweiflung fast starb, der Bericht von unglücklichen Ereignissen, die fast über Menschenkraft gingen, all das erregte das Mitleid und Interesse des Geistlichen.
»In der Provinz wie in Paris«, antwortete er ihm, »darf man nur die Hälfte dessen glauben, was gesprochen wird; erschrecken Sie also nicht über ein Gerücht, das drei Meilen von Angoulême sehr irrig sein kann. Der alte Séchard, unser Nachbar, hat Marsac seit einigen Tagen verlassen; vermutlich ist er also damit beschäftigt, die Angelegenheiten seines Sohnes zu ordnen. Ich gehe nach Angoulême und sage Ihnen, wenn ich zurückkomme, ob Sie in Ihre Familie zurückkehren können; Ihre Geständnisse und Ihre Reue werden mir helfen, für Sie zu wirken.«
Der Geistliche wußte nicht, daß Lucien seit anderthalb Jahren so oft bereut hatte, daß seine Reue, mochte sie noch so stark sein, keinen andern Wert hatte als den einer vollkommen und dazu noch im guten Glauben gespielten Szene! Dem Geistlichen folgte der Arzt. Der Neffe, der erkannte, daß der Patient eine Nervenkrise hatte, deren Gefahr schon zu schwinden anfing, brachte ihm den gleichen Trost wie der Onkel und bestimmte seinen Kranken schließlich, etwas zu sich zu nehmen.
Der Geistliche, der das Land und seine Gewohnheiten kannte, war nach Mansle gefahren, wo der Wagen von Ruffec nach Angoulême bald vorbeikam, in den er einstieg. Der alte Priester wollte sich bei seinem Großneffen Postel, dem Apotheker von Houmeau, der früher der Nebenbuhler des Buchdruckers bei der schönen Eva gewesen war, über David Séchard erkundigen. Auch ein Zuschauer, der wenig scharfsinnig gewesen wäre, müßte, wenn er gesehen hätte, wie behutsam der kleine Apotheker
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