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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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dem alten Herrn aus dem schrecklichen Rumpelkasten half, der damals den Verkehr von Ruffec nach Angoulême vermittelte, gemerkt haben, daß Herr und Frau Postel ihren ferneren Wohlstand sehr auf seine Erbschaft gründeten.
    »Haben Sie gefrühstückt? Darf ich Ihnen etwas bringen? Wir erwarteten Sie nicht und sind angenehm überrascht.«
    Es gab tausend Fragen auf einmal. Frau Postel war wie eigens von der Natur dazu ausersehen, die Frau eines Apothekers in Houmeau zu werden. Sie hatte die gleiche Figur wie der kleine Postel und das rote Gesicht eines auf dem Lande aufgewachsenen Mädchens; sie sah sehr gewöhnlich aus, und ihre ganze Schönheit bestand in der Frische ihres Wesens. Ihre roten Haare waren tief in die Stirn hereingekämmt; ihre Manieren und ihre Sprache paßten zu der Einfachheit, die sich in den Zügen ihres runden Gesichts, in dem Blick ihrer fast gelben Augen ausprägte; alles sprach davon, daß sie geheiratet worden war, weil sie Vermögen zu erwarten hatte. Daher führte sie denn auch ein Jahr nach der Heirat das Regiment und schien völlig die Herrin im Hause Postels geworden zu sein, der glücklich war, daß er diese Frau gefunden hatte. Frau Léonie Postel, geborene Marron, stillte einen Sohn, der der Liebling des alten Geistlichen, des Arztes und Postels war, ein sehr häßliches Kind, das seinem Vater und seiner Mutter glich.
    »Nun, Onkel, was wollen Sie denn in Angoulême machen,« fragte Léonie, »da Sie nichts zu sich nehmen wollen und davon sprechen, wieder fortzugehen, nachdem Sie kaum gekommen sind?«
    Sowie der würdige geistliche Herr den Namen Evas und David Séchards ausgesprochen hatte, errötete Postel, und Léonie warf dem kleinen Mann einen Blick gewohnheitsmäßiger Eifersucht zu, wie es eine Frau, die völlig Herrin ihres Mannes ist, im Interesse ihrer Zukunft und um der Vergangenheit willen immer tut.
    »Was gehen Sie denn die Leute an, Onkel, daß Sie sich in ihre Sachen mischen?« fragte Léonie mit unverkennbarem Ärger.
    »Sie sind unglücklich, meine Tochter«, versetzte der Geistliche und schilderte darauf Postel den Zustand, in dem sich Lucien bei Courtois befand.
    »Oh! ist das die Equipage, in der er aus Paris zurückkommt?« rief Postel. »Armer Junge! Geist hat er schon und war ehrgeizig. Er hätte reich werden sollen, und nun kommt er ohne Heller zurück. Aber was soll er hier? Seine Schwester ist im entsetzlichsten Elend, denn all diese Genies, der David genau so wie Lucien, verstehen nichts vom Geschäft. Wir haben mit ihm vor Gericht zu tun gehabt, und als Richter habe ich seine Verurteilung unterzeichnen müssen. Das tut mir schrecklich leid! Ich weiß nicht, ob Lucien unter den jetzigen Umständen zu seiner Schwester gehen kann; aber in jedem Fall ist das Kämmerchen, das er hier bewohnt hat, frei, und ich räume es ihm gerne ein.«
    »Gut, Postel«, sagte der Priester, setzte seinen Dreispitz auf, küßte das Kind, das auf Léonies Armen schlief, und schickte sich an, den Laden zu verlassen.
    »Sie essen jedenfalls mit uns, Onkel,« sagte Frau Postel, »denn Sie werden, wenn Sie die Sachen dieser Leute entwirren wollen, nicht so schnell fertig werden. Mein Mann fährt Sie dann mit seinem Wägelchen nach Hause.«
    Die beiden Gatten sahen ihrem kostbaren Großonkel nach, wie er sich nach Angoulême begab.
    »Er geht noch ganz gut für sein Alter«, sagte der Apotheker.
    Während der würdige Geistliche die Stufen nach Angoulême hinaufsteigt, wird es nützlich sein, die verworrenen Angelegenheiten, in die er nun hineinkam, auseinanderzusetzen.
    Nach Luciens Abreise nach Paris wollte David Séchard, der wie ein tapferer und mit hoher Vernunft begabter Stier war, gleich dem, den die Maler dem Evangelisten zum Gefährten geben, schnell zu dem großen Vermögen kommen, das er sich an jenem Abend am Ufer der Charente, als er mit Eva auf dem Damm saß und ihr Hand und Herz versprach, weniger für sich, als für Eva und Lucien gewünscht hatte. Seine Frau in die Sphäre der Eleganz und des Reichtums zu bringen, die ihr gebührte, mit seinem mächtigen Arm den Ehrgeiz seines Bruders zu stützen: das war das Programm, das mit feurigen Lettern vor seinen Augen geschrieben stand. Die Zeitungen, die Politik, die ungeheure Entwicklung des Buchhandels, der Literatur und der Wissenschaften, die Neigung zur öffentlichen Erörterung aller Landesangelegenheiten, die ganze soziale Bewegung, die entstand, nachdem die Restauration festen Fuß gefaßt hatte, all das mußte

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