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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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David lachend zu seiner Frau, als sie ihm vor dem Mittagessen die Schriftstücke zeigte, die zu unterzeichnen waren.
    »Bah!« sagte sie, »ich bürge für die Anhänglichkeit von Kolb und Marion; die beiden werden alles überwachen. Überdies lösen wir viertausend Franken aus einer Einrichtung, die uns bisher nur Geld gekostet hat, und du hast ein Jahr vor dir, um deine Hoffnungen zu verwirklichen!«
    »Du mußtest, wie du es mir am Flusse gesagt hast, die Frau eines Erfinders werden!« sagte Séchard und drückte seiner Frau zärtlich die Hand.
    Der Hausstand Davids hatte jetzt eine hinreichende Summe, um über den Winter hinwegzukommen, aber er stand unter der Überwachung von Cérizet und, ohne daß David es wußte, in Abhängigkeit vom großen Cointet.
    »Wir haben sie!« sagte beim Fortgehen der Direktor der Papierfabrik zu seinem Bruder, dem Drucker. »Die armen Teufel werden sich daran gewöhnen, die Miete für ihre Druckerei zu erhalten,« sie werden darauf rechnen und werden Schulden machen. In einem halben Jahr erneuern wir die Pacht nicht, und dann wollen wir sehen, was das Genie in seinem Sack hat, denn wir werden ihm vorschlagen, ihm aus der Verlegenheit zu helfen und uns an der Ausbeutung seiner Entdeckung zu beteiligen.«
    Wenn ein gewitzigter Kaufmann den großen Cointet hätte sehen können, wie er das Wort ›beteiligen‹ aussprach, hätte er begriffen, daß vor dem Handelsgericht noch gefährlichere Verbindungen geschlossen werden können als vor dem Standesamt. War es nicht schon zuviel, daß diese wilden Jäger ihrer Beute auf der Spur waren? Waren David und seine Frau mit Hilfe von Kolb und Marion imstande, sich der Ränke eines Boniface Cointet zu erwehren?
    Als die Niederkunft der Frau Séchard herannahte, erlaubte es die Fünfhundertfrankennote, die Lucien schickte, zusammen mit Cérizets zweiter Zahlung, alle Ausgaben zu bestreiten. Eva, ihre Mutter und David, die sich von Lucien vergessen geglaubt hatten, empfanden jetzt eine Freude, die ebenso groß war wie die, die sie über die ersten Erfolge des Dichters hatten: seine glänzenden journalistischen Leistungen machten in Angoulême noch mehr Aufsehen als in Paris.
    Aber David, der auf solche Weise in eine trügerische Sicherheit gewiegt gewesen war, wollte fast umsinken, als er von seinem Schwager die folgenden grausamen Zeilen erhielt:
    »Lieber David! Ich habe bei Métivier drei von Dir unterzeichnete Wechsel auf meine Order mit einem, zwei und drei Monaten Ziel zu Geld gemacht. Ich hatte nur zwischen diesem Entschluß und dem Selbstmord zu wählen, und so habe ich etwas getan, was Dir ohne Zweifel sehr lästig fallen wird. Ich werde Dir erklären, in welcher Notlage ich bin, und werde überdies versuchen, Dir die Mittel zur Einlösung zu schicken.
    Verbrenne diesen Brief, sage meiner Schwester und meiner Mutter nichts, denn ich gestehe, ich habe auf Deinen Heroismus gezählt, den so gut kennt
    Dein verzweifelter Bruder
Lucien von Rubempré.«
     
    »Dein armer Bruder«, sagte David zu seiner Frau, die eben aus dem Wochenbett aufgestanden war, »ist in schrecklicher Verlegenheit, ich habe ihm drei Wechsel über je tausend Franken auf einen, zwei und drei Monate geschickt; notiere es.«
    Dann begab er sich, um den Erklärungen auszuweichen, die seine Frau verlangen würde, ins Freie. Als aber Eva mit ihrer Mutter sich über diese unheilkündende Rede beriet, bekam sie, die schon über das Schweigen ihres Bruders seit einem halben Jahre sehr beunruhigt war, so schlimme Ahnungen, daß sie sich, um sie zu verscheuchen, entschloß, einen Schritt zu tun, wie ihn die Verzweiflung rät. Der junge Herr von Rastignac war für ein paar Tage zum Besuch seiner Familie eingetroffen, und er hatte über Lucien so schlecht gesprochen, daß diese Nachrichten aus Paris mit den Kommentaren aller der Zungen, die sie verbreitet hatten, auch zur Schwester und Mutter des Journalisten gedrungen waren. Eva begab sich zur Frau von Rastignac und bat dort, den Sohn sprechen zu können. Sie sprach von allen ihren Befürchtungen und bat ihn, ihr über Luciens Lage in Paris die Wahrheit mitzuteilen. Eva erfuhr nun in einem Augenblick die Nachrichten von der Liebschaft ihres Bruders mit Coralie, von seinem Duell mit Michel Chrestien auf Grund seines Verrats gegen d'Arthez, kurz, sie erfuhr alle Einzelheiten von Luciens Leben in der giftigen Darstellung eines witzigen Stutzers, der seinem Haß und seinem Neid den Mantel des Mitleids, die freundschaftliche Form des

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