Verlorene Illusionen (German Edition)
Petit-Claud, Cérizet, all die Leute, in denen Eva Feinde geahnt hatte, hatten sie mit trockenen und kalten Blicken angesehen, sie fühlte sich daher bei dem Substituten wohl aufgehoben, dieser aber, so freundlich er sie aufnahm, zerstörte mit ein paar Worten all ihre Hoffnungen.
»Es ist nicht sicher, Frau Séchard,« sagte er zu ihr, »daß das Appellationsgericht das Urteil ändert, welches die Eigentumsübertragung, die Ihr Mann mit allem, was er besaß, zu Ihren Gunsten, um Ihr eingebrachtes Gut zu sichern, vorgenommen hat, auf die Wohnungseinrichtung beschränkte. Ihr Vorrecht darf nicht dazu dienen, einen Betrug zu decken. Aber da Sie in Ihrer Eigenschaft als Gläubigerin bei der Teilung des Erlöses für die gepfändeten Gegenstände zugelassen werden; da ferner Ihr Schwiegervater in gleicher Weise sein Vorrecht für die Mieten, die man ihm schuldet, üben darf, wird, nachdem das Urteil des Gerichts einmal gefällt ist, anläßlich dessen, was wir in der juristischen Sprache die Ausschüttung nennen, Gelegenheit zu weiteren Rechtsstreitigkeiten sein.«
»Herr Petit-Claud richtet uns also zugrunde?« rief sie.
»Das Verhalten des Anwalts«, erwiderte der Beamte, »entspricht dem Mandat, das ihm Ihr Gatte gegeben hat, der, wie sein Advokat sagt, Zeit gewinnen will. Nach meiner Meinung wäre es vielleicht besser, von der Berufung abzustehen und dafür zu sorgen, daß Sie und Ihr Schwiegervater bei der Versteigerung in den Besitz der für Ihren Betrieb notwendigsten Maschinen und Werkzeuge kommen: Sie in den Grenzen dessen, worauf Sie Anspruch haben, er für den Betrag seiner Mieten. Aber damit käme man zu schnell ans Ziel. Die Advokaten bringen Sie um Hab und Gut!«
»Ich wäre dann in den Händen des Herrn Séchard senior, dem ich die Miete für die Pressen und für das Haus schuldete, mein Mann bliebe nichtsdestoweniger den Verfolgungen des Herrn Métivier, der fast nichts bekommen hätte, ausgesetzt.«
»Sie verstehen ganz recht, Frau Séchard.«
»Aber dann wäre unsere Lage ja schlimmer als jetzt.«
»Die Kraft des Gesetzes, Frau Séchard, steht am letzten Ende auf der Seite des Gläubigers. Sie haben dreitausend Franken bekommen, es kann nicht anders sein, als daß Sie sie zurückgeben.«
»Oh! Sie trauen uns doch nicht zu, daß wir ...«
Eva hielt inne; sie merkte, in welche Gefahr ihre Rechtfertigung ihren Bruder bringen konnte.
»Oh, ich weiß wohl,« versetzte der Beamte, »daß diese Sache sowohl auf der Seite der Schuldner, die redliche, edelmütige, sogar große Menschen sind, wie auf der Seite des Gläubigers, der nur ein Aushängeschild ist, dunkel ist.«
Eva erschrak und sah den Beamten ängstlich an.
»Sie können sich denken,« fuhr er fort und warf ihr einen sehr klugen Blick zu, »daß wir, während wir dasitzen und den Reden der Herren Advokaten zuhören müssen, Zeit genug haben, über das nachzudenken, was vor unsern Augen vorgeht.«
Eva kam in Verzweiflung, daß sie nicht helfen konnte, nach Hause.
Abends um sieben Uhr brachte Doublon den Zahlungsbefehl, in dem die bevorstehende Verhängung der Schuldhaft angekündigt war. Jetzt war also das Verfahren auf seinem höchsten Punkt angelangt.
»Von morgen an«, sagte David, »kann ich nur noch nachts ausgehen.«
Eva und Frau Chardon brachen in Tränen aus. In ihren Augen war es eine Schande, sich verborgen zu halten. Als Kolb und Marion erfuhren, daß die Freiheit ihres Herrn bedroht war, beunruhigten sie sich um so mehr, als sie ihm seit langem nicht die geringste Schlauheit zutrauten; und sie zitterten dermaßen für ihn, daß sie unter dem Vorwand, sie wollten hören, was sie Nützliches tun könnten, zu Frau Chardon, Eva und David ins Zimmer gingen. Sie traten in dem Augenblick ein, als diese drei Menschen, deren Leben bisher ein so einfaches gewesen war, hinsichtlich der Notwendigkeit, David zu verbergen, in Tränen ausbrachen. Aber wie sollte man den unsichtbaren Spionen entgehen, die von jetzt an die geringsten Schritte dieses Mannes, der zum Unglück so zerstreut war, beobachten würden?
»Wenn die Frau ein kleines Viertelstündchen warten will,« sagte Kolb, »werde ich im feindlichen Lager rekognoszieren. Und Sie sollen sehen, daß ich das Geschäft verstehe, wenn ich schon wie ein Deutscher aussehe; so wahr ich ein Franzose bin, ich bin nicht dumm.«
»Oh, Frau Séchard,« sagte Marion, »lassen Sie ihn gehen, er denkt an nichts anderes, als den Herrn zu beschützen. Kolb ist kein Elsässer, er ist ein wahrer
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