Verlorene Illusionen (German Edition)
benachrichtigen, ohne daß einer von uns hingeht.«
»Die Frau kann hingehen«, sagte Kolb. »Ich hab mir das so gedacht: ich gehe mit dem Herrn aus, und wir führen die Pfeifspione hinter uns her. Während dieser Zeit kann die Frau zu Fräulein Clerget gehen, man wird ihr nicht folgen. Ich habe ein Pferd, der Herr kann hinten aufsitzen, und das müßte verteufelt sein, wenn man uns erwischte.«
»Lebewohl denn. Liebster,« rief die arme Frau und warf sich ihrem Manne in die Arme; »keiner von uns wird dich besuchen, denn wir könnten sie auf deine Spur bringen. Wir müssen uns für die ganze Zeit verabschieden, die diese freiwillige Gefangenschaft dauert. Wir schreiben uns durch die Post. Basine wird deine Briefe besorgen, und ich schreibe dir unter ihrem Namen.«
Bei ihrem Fortgehen hörten David und Kolb das Pfeifen und führten die Spione bis zum Palet-Tor hinunter, wo der Pferdeverleiher wohnte. Dort nahm Kolb seinen Herrn hinter sich aufs Pferd und empfahl ihm, sich gut an ihm festzuhalten.
»Pfeift, pfeift, ihr guten Freunde! Ich pfeife auf euch alle!« rief Kolb; »ihr werdet einen alten Kavalleristen nicht erwischen.«
Und der alte Kavallerist gab dem Pferde die Sporen und ritt so spornstreichs ins Land hinaus, daß die Spione ihnen unmöglich folgen konnten und nicht wußten, wo sie hingekommen waren. Eva begab sich unter dem nicht übel erdachten Vorwand, seinen Rat einzuholen, zu Postel. Nachdem sie die Schmach eines Mitleids, das nur mit Worten verschwenderisch ist, hatte über sich ergehen lassen, verließ sie das Ehepaar Postel und konnte nun, ohne gesehen zu werden, das Haus Basinens erreichen, der sie ihren Kummer anvertraute und die sie um Beistand und Schutz bat. Basine, die Eva, damit sie ganz ungestört reden konnten, in ihr Zimmer geführt hatte, öffnete die Tür zu einer anstoßenden kleinen Kammer, die ihr Licht nur von einem kleinen Fledermausfenster erhielt, so daß das Auge keines Menschen hineinsehen konnte. Die beiden Freundinnen brachten einen kleinen Kamin in Ordnung, dessen Rohr in den Kamin der Arbeitsstube ging, in dem die Arbeiterinnen Feuer für ihre Bügeleisen hatten. Eva und Basine legten Decken auf den Fußboden, um den Schall zu dämpfen, wenn David aus Versehen Geräusch machte, sie stellten ein Gurtbett zum Schlafen auf, einen Ofen für seine Experimente, einen Tisch und einen Stuhl zum Sitzen und Schreiben. Basine versprach, ihm nachts zu essen zu geben, und da niemals jemand in ihr Zimmer kam, konnte David allen seinen Feinden und selbst der Polizei trotzen.
»Endlich«, sagte Eva und umarmte ihre Freundin, »ist er in Sicherheit.«
Eva begab sich noch einmal zu Postel, um, sagte sie, noch einen Zweifel aufklären, über den ihr ein so kluger Handelsrichter Auskunft geben könnte, und sie ließ sich von ihm zurückbegleiten und hörte seine Klagen an. »Wenn Sie mich geheiratet hätten, stünde es dann auch so schlimm mit Ihnen?« Dieses Gefühl lag allem, was der kleine Apotheker sprach, zugrunde.
Als Postel wieder nach Hause kam, zeigte sich seine Frau sehr eifersüchtig auf die wunderbare Schönheit der Frau Séchard; und die über die Freundlichkeit ihres Mannes erboste Leonie ließ sich nur durch die Behauptung des Apothekers beruhigen, die kleinen, blonden und rothaarigen Frauen taugten mehr als die großen, brünetten, die, wie er sagte, den schönen Pferden glichen, die nie aus dem Stalle kämen. Er gab ihr wohl einige Beweise für die Aufrichtigkeit dieser Worte, denn am nächsten Tag war Frau Postel sehr zärtlich zu ihm.
»Wir können beruhigt sein«, sagte Eva zu ihrer Mutter und Marion, die, wie Marion sich ausdrückte, noch ganz arretiert waren.
»Oh, sie sind weg«, sagte Marion, als Eva sich mechanisch im Zimmer umsah.
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»Wohin geht die Reise?« fragte Kolb, als er auf der Landstraße nach Paris eine Meile geritten war.
»Nach Marsac«, antwortete David. »Da du mich auf diesen Weg gebracht hast, will ich einen letzten Versuch machen, das Herz meines Vaters zu rühren.«
»Ich würde lieber eine Batterie Kanonen erstürmen; denn der Herr Vater hat kein Herz.«
Der alte Drucker glaubte nicht an seinen Sohn; er beurteilte ihn, wie das Volk urteilt: nach den Ergebnissen. Zunächst glaubte er David nicht übervorteilt zu haben; dann sagte er sich, ohne an den Unterschied der Zeiten zu denken: »Ich habe ihm eine Druckerei gegeben, wie ich sie selbst bekommen habe; und er, der tausendmal mehr davon verstand als ich, ist nicht vorwärts
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