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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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mehr zu reizen.
    Der kleine Advokat traf den mürrisch vor sich hinbrummenden Winzer auf der Place du Mûrier, begleitete ihn bis nach Houmeau und verließ ihn mit der Drohung, er werde wegen der Kosten, die er zu beanspruchen habe, einen Vollstreckungsbefehl erwirken, wenn er nicht noch in dieser Woche bezahlt werde.
    »Ich bezahle Sie, wenn Sie mir die Mittel angeben, meinen Sohn zu enterben, ohne meinen Enkel und meine Schwiegertochter zu schädigen!« sagte der alte Séchard und ließ den Anwalt stehen.
    »Wie der große Cointet seine Leute kennt! Ah! er hatte es mir gesagt: diese siebenhundert Franken werden den Vater verhindern, die siebentausend Franken seines Sohnes zu bezahlen«, rief der kleine Advokat, als er wieder nach Angoulême hinaufstieg. »Trotzdem lassen wir uns von dem alten verschmitzten Papierfabrikanten nicht übern Löffel barbieren, es ist Zeit, von ihm etwas anderes als Worte zu verlangen.« –
    »Nun, mein lieber David, was gedenkst du zu tun?« fragte Eva ihren Mann, nachdem der alte Séchard und der Anwalt sie verlassen hatten.
    »Kind, setze deinen größten Topf aufs Feuer«, sagte David zu Marion, »ich gehe an mein Geschäft!«
    Als Eva diese Worte hörte, griff sie mit fieberhafter Eile zu ihrem Hut, ihrem Schal und ihren Schuhen.
    »Ziehen Sie sich an, lieber Kolb,« sagte sie, »Sie sollen mich begleiten, ich muß wissen, ob es ein Mittel gibt, diesem Elend zu entrinnen.«
    »Herr,« rief Marion, nachdem Eva gegangen war, »seien Sie doch vernünftig, die Frau stirbt uns sonst vor Kummer; verdienen Sie Geld, um Ihre Schulden zu bezahlen; nachher können Sie in aller Ruhe Ihre Schätze suchen.«
    »Sei still, Marion,« erwiderte David, »die letzte Schwierigkeit wird jetzt überwunden. Ich werde zugleich das Patent für die Erfindung und das Patent für die Verbesserung bekommen.«
    Das Kreuz der Erfinder in Frankreich ist das Patent für die Verbesserung. Es verbringt jemand zehn Jahre seines Lebens damit, das Geheimnis einer Industrie, einer Maschine oder irgendeine Entdeckung zu suchen, er nimmt ein Patent und glaubt, die Sache gehöre ihm, ihm folgt ein Konkurrent, der, wenn jener nicht alles vorausgesehen hat, seine Erfindung mit irgendeiner Schraube verbessert und sie ihm so aus den Händen windet. Und so war damit, daß einer ein billiges Zeug zur Papierfabrikation erfand, noch nicht alles getan. Andere konnten das Verfahren verbessern. David Séchard wollte alles voraussehen, damit ihm nicht ein Vermögen entrissen werden konnte, an dessen Begründung er unter so viel Widerwärtigkeiten arbeitete. Das holländische Papier – dieser Name verbleibt dem Papier, das ganz aus Hadern hergestellt wird, obwohl Holland keins mehr fabriziert – ist leicht geleimt, aber es muß Bogen für Bogen mit der Hand geleimt werden, und das verteuert das Papier. Wenn es möglich wäre, den Papierbrei in der Bütte zu leimen, und zwar mit einem Klebemittel, das nicht kostspielig ist – was übrigens heutzutage geschieht, wennschon noch unvollkommen –, dann bliebe keine Verbesserung mehr zu erfinden. Seit einem Monat also suchte David den Brei seines Papiers in der Bütte zu leimen. Er hatte zwei Erfindungen zugleich ins Auge gefaßt.
    Eva ging zu ihrer Mutter. Durch einen glücklichen Zufall pflegte Frau Chardon die Frau des ersten Substituten, die dem Geschlecht der Milaud von Nevers einen Erben geschenkt hatte. Eva, die allen Beamten mißtraute, war auf den Gedanken gekommen, den gesetzlich bestellten Verteidiger der Witwen und Waisen in ihrer Lage anzurufen und ihn zu fragen, ob sie David dadurch befreien könnte, daß sie sich verbürgte und ihre Ansprüche verkaufte; aber sie hoffte auch, die Wahrheit über das zweideutige Verhalten von Petit-Claud zu erfahren. Der Beamte, der von der Schönheit der Frau Séchard überrascht war, behandelte sie nicht nur mit der Rücksicht, die man einer Frau schuldig ist, sondern sogar mit einer Art Liebenswürdigkeit, an die Eva nicht gewöhnt war. Die arme Frau sah in den Augen dieses Beamten den Ausdruck, den sie seit ihrer Verheiratung nur noch bei Kolb gefunden hatte und der für schöne Frauen wie Eva das Kennzeichen ist, nach dem sie die Männer beurteilen können. Wenn eine Leidenschaft, wenn das Interesse oder das Alter in den Augen eines Mannes das Funkeln des unbedingten Gehorsams, das in ihnen in jungen Jahren leuchtet, ausgelöscht hat, dann mißtraut eine Frau einem solchen Manne und fängt an, ihn zu beobachten. Die Cointet,

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