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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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können: alle Wonnen der Liebe! Die arme Coralie hat mir alles geopfert und ist jetzt vielleicht für mich gestorben! Für mich, der ich in diesem Augenblick nicht einmal die Mittel habe, sie beerdigen zu lassen. Sie hätte mich über das Leben getröstet; Ihr allein, geliebte Menschen, könnt mich über ihren Tod trösten. Diesem reinen Geschöpf ist, glaube ich, von Gott verziehen worden, denn sie ist christlich gestorben. O Paris! ... Liebe Eva, Paris ist der ganze Ruhm und die ganze Schmach Frankreichs. Ich habe hier schon viele Illusionen verloren, und ich werde jetzt noch weitere verlieren, wenn ich das bißchen Geld zusammenbettle, das ich brauche, um den Leib eines Engels in geweihter Erde zu bestatten.
    Dein unglücklicher Bruder
Lucien.
    P.S. Ich habe Dir mit meinem Leichtsinn gewiß viel Sorgen gemacht, Du wirst einmal alles erfahren und wirst mir verzeihen. Überdies darfst Du ruhig sein: ein wackerer Kaufmann, dem ich grausamen Schmerz zugefügt hatte, Herr Camusot, hat es, als er Coralie und mich so verfolgt sah, auf sich genommen, die Sache in Ordnung zu bringen.«
     
    »Der Brief ist noch naß von seinen Tränen«, sagte sie zu David und sah ihn mit so viel Mitgefühl an, daß in ihren Augen etwas von ihrer alten Liebe zu Lucien zu lesen war.
    »Armer Junge! Er hat viel leiden müssen, wenn er so geliebt worden ist, wie er sagt«, rief Evas glücklicher Gatte.
    Der Mann wie die Frau vergaßen all ihre Leiden vor diesem Aufschrei des höchsten Schmerzes. In diesem Augenblick stürzte Marion herein: »Frau, sie sind da, sie sind da!«
    »Wer?«
    »Doublon und seine Leute, zum Teufel! Kolb haut sich mit ihnen. Es soll versteigert werden.«
    »Nein, nein, es soll nicht versteigert werden, beruhigen Sie sich!« rief Petit-Claud, dessen Stimme aus dem Vorzimmer in das Schlafzimmer hereintönte, »ich habe eben meinen Namen unter die Berufung gesetzt. Wir dürfen uns nicht unter ein Urteil beugen, das uns Unredlichkeit zutraut. Es ist mir nicht eingefallen, mich hier zu verteidigen. Damit Sie Zeit gewinnen, habe ich Cachan schwätzen lassen, ich bin sicher, zum zweitenmal in Poitiers zu siegen ...«
    »Aber wieviel wird dieser Sieg kosten?« fragte Frau Séchard.
    »Mein Honorar, wenn Sie siegen, und tausend Franken, wenn wir verlieren.«
    »Guter Gott,« rief die arme Eva, »ist da nicht das Heilmittel schlimmer als das Übel?«
    Als Petit-Claud diesen Ruf der Unschuld hörte, die an der Justiz erleuchtet worden war, konnte er kein Wort antworten, so schön erschien ihm Eva. Inzwischen trat der alte Séchard, den Petit-Claud bestellt hatte, ein. Die Anwesenheit des alten Mannes im Schlafzimmer seiner Kinder, in dem sein Enkel in der Wiege zu all dem Elend lächelte, vervollständigte diese Szene.
    »Papa Séchard,« sagte der junge Anwalt, »Sie schulden mir siebenhundert Franken für meinen Einspruch; aber Sie werden sie von Ihrem Sohn zurückverlangen – zusammen mit der Summe der Mieten, die man Ihnen schuldet.«
    Der alte Winzer verstand die beißende Ironie, die Petit-Claud in seine Mienen und in den Ton seiner Worte legte.
    »Es hätte Sie weniger gekostet, für Ihren Sohn zu bürgen!« sagte Eva zu dem Alten und verließ die Wiege, um ihn zu begrüßen.
    David, der von dem Anblick der Menschenansammlung vor seinem Hause, die dem Kampf zwischen Kolb und Doublons Leuten zusahen, bedrückt war, streckte seinem Vater die Hand hin, ohne ihm Guten Tag zu sagen.
    »Und wie kann ich Ihnen siebenhundert Franken schuldig sein?« fragte der Alte Petit-Claud.
    »Ganz einfach, weil ich Ihre Interessen gewahrt habe. Da es sich um Ihre Mieten handelt, kann ich mich ebensowohl an Sie wie an Ihren Schuldner halten. Wenn Ihr Sohn mir diese Kosten nicht zahlt, dann zahlen Sie mir sie. Aber lassen wir das jetzt: in wenig Stunden wird man Ihren David ins Gefängnis stecken wollen, werden Sie das zugeben?«
    »Wieviel ist er schuldig?«
    »So etwa fünf- bis sechstausend Franken, ohne zu rechnen, was er Ihnen und seiner Frau schuldig ist.«
    Der alte Mann, der ganz Mißtrauen geworden war, besah sich das rührende Bild, das sich in diesem blau und weißen Zimmer seinen Augen darbot: eine weinende schöne Frau neben einer Wiege, David, der endlich unter der Last seines Kummers zusammenbrach, der Advokat, der ihn vielleicht wie in eine Falle hierhergelockt hatte; der Bär glaubte jetzt, man hätte seine väterlichen Gefühle ausnützen wollen, er hatte Angst, ausgebeutet zu werden. Er ging zu der Wiege und streichelte

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