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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Neufundländer.«
    »Gehen Sie, guter Kolb,« sagte David, »wir haben noch Zeit genug, einen Entschluß zu fassen.«
    Kolb eilte zu dem Gerichtsvollzieher, bei dem Davids Feinde Kriegsrat hielten und über das Mittel berieten, wie man sich seiner bemächtigen konnte.
    Die Verhaftung der Schuldner ist in der Provinz, wenn er überhaupt je vorkommt, ein ganz außergewöhnlicher Fall. Zunächst kennen sich alle untereinander zu gut, als daß jemand ein so gehässiges Mittel anwendete. Gläubiger und Schuldner stehen einander das ganze Leben hindurch persönlich gegenüber. Und ferner, wenn ein Kaufmann, ein Bankrottierer, um die Sprache der Provinz, die in dieser Art gesetzlichen Diebstahls keine Milde kennt, anzuwenden, einen großen Konkurs vorhat, dann dient ihm Paris als Zuflucht. Paris ist in gewisser Art das Belgien der Provinz: man findet dort Verstecke, die fast unauffindbar sind, und das Mandat des Gerichtsvollziehers, der die Exekution zu machen hat, erlischt an den Grenzen seiner Zuständigkeit, überdies gibt es noch andere entscheidende Hindernisse. So gilt das Gesetz, das die Unverletzlichkeit der Wohnung verbürgt, in der Provinz ohne Ausnahme; der Gerichtsvollzieher hat dort nicht, wie in Paris, das Recht, in ein drittes Haus einzudringen, um den Schuldner herauszuholen. Der Gesetzgeber hat geglaubt, Paris ausnehmen zu müssen, weil hier dauernd mehrere Familien im selben Hause beisammen wohnen. Aber in der Provinz muß der Gerichtsvollzieher, wenn er in die Wohnung des Schuldners selbst eindringen will, sich vom Friedensrichter begleiten lassen. Der Friedensrichter nun, dem die Gerichtsvollzieher unterstellt sind, hat es fast ganz in der Hand, ob er seine Mitwirkung bewilligen oder verweigern will. Zum Lob der Friedensrichter muß gesagt werden, daß diese Verpflichtung sie drückt, sie wollen nicht blinder Leidenschaft oder Rachsucht dienen. Es gibt noch andere, nicht weniger ernste Schwierigkeiten, die ebenso dazu dienen, die völlig unnütze Grausamkeit des Gesetzes über die Schuldhaft durch die Wirksamkeit der Sitten, die oft die Gesetze bis zu dem Grade umwandeln, daß sie hinfällig werden, zu mildern. In den großen Städten gibt es genug Elende, Verkommene, Leute ohne Treu und Glauben, die man zu Spionen brauchen kann; aber in den kleinen Städten kennen sich alle zu gut untereinander, als daß so leicht einer in den Sold eines Gerichtsvollziehers träte. Jeder, der in der unteren Klasse bis zu dem Grade gesunken wäre, wäre genötigt, die Stadt zu verlassen. Da also die Verhaftung eines Schuldners nicht, wie in Paris oder den großen Industrie- und Handelsstädten, Gegenstand des privilegierten Gewerbes der Häscher des Handelsgerichts geworden ist, wird sie zu einem überaus schwierigen Vorgehen, zu einem Kampf der Schlauheit zwischen dem Schuldner und dem Gerichtsvollzieher; und es ist dabei schon zu sehr erfinderischen Listen gekommen, von denen in den Zeitungen manchmal hübsche Berichte zu lesen waren. Der ältere Cointet hatte sich nicht zeigen wollen, aber der dicke Cointet, der jetzt sagte, Métivier habe ihm diesen Auftrag gegeben, war mit Cérizet, der sein Faktor geworden war und der gegen das Versprechen eines Tausendfrankenscheins seine Mitwirkung zugesagt hatte, zu Doublon gekommen. Doublon konnte auf zwei seiner Gehilfen rechnen. So verfügten die Cointet schon über drei Spürhunde zur Überwachung ihrer Beute. Im Augenblick der Verhaftung konnte Doublon überdies die Gendarmerie verwenden, die nach dem Wortlaut der Urteile dem Gerichtsvollzieher, der sie dazu auffordert, Beistand leisten muß. Diese fünf Personen waren also in diesem Augenblick in dem Zimmer des Gerichtsvollziehers Doublon, das im Erdgeschoß des Hauses neben dem Bureau lag, versammelt.
    Man betrat dieses Bureau, nachdem man einen ziemlich langen, mit Fliesen belegten Korridor durchschritten hatte. Das Haus hatte ein einfaches, nicht allzu großes Tor, auf dessen beiden Seiten die vergoldeten amtlichen Schilder angebracht waren, in deren Mitte in schwarzen Buchstaben zu lesen war: Gerichtsvollzieher. Die beiden Fenster des Bureaus, die auf die Straße gingen, waren mit starken Eisenstangen vergittert. Das Arbeitszimmer, in dem die fünf saßen, gestattete den Blick auf einen Garten hinaus, in dem der Gerichtsvollzieher, ein Liebhaber von Pomona, mit großem Erfolg Spalierobst züchtete. Die Küche lag dem Arbeitszimmer gegenüber, und hinter der Küche befand sich die Treppe, auf der man in das obere

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