Verlorene Illusionen (German Edition)
jeden Abend und lief entschieden Amélie von Chandour, die sich zu ihrer Rivalin aufgeworfen hatte, den Rang ab. Die Hoffnungen von Francis de Hautoy, der sich im Mittelpunkt der Aristokratie von Angoulême sah, verstiegen sich so weit, daß er Françoise mit dem alten Herrn von Séverac verheiraten wollte, den Frau du Brossard nicht für ihre Tochter hatte fangen können. Die Rückkehr von Frau von Bargeton, die Präfektin von Angoulême geworden war, erhöhte noch die Ansprüche Zéphirinens für ihr geliebtes Patenkind. Sie sagte sich, die Gräfin Sixtus du Châtelet würde ihren Einfluß für die verwenden, die sich zu ihrer Vorkämpferin gemacht hatte. Der Papierhändler, der sein Angoulême in- und auswendig kannte, gewahrte sofort all diese Schwierigkeiten. Aber er beschloß, sich mit einer Kühnheit, wie sie nur Tartuffe sich erlaubt hätte, aus der Schwierigkeit, die sich aufgetan hatte, zu befreien. Der kleine Anwalt, der über die Loyalität seines Partners in diesem Ränkespiel höchst überrascht war, überließ ihn, während sie von der Papiermühle nach der Rue du Minage wanderten, seinem Nachdenken. An der Treppe wurden die beiden Eindringlinge mit den Worten aufgehalten: »Die Herrschaften frühstücken.«
»Melden Sie uns trotzdem«, erwiderte der große Cointet.
Der fromme Kaufmann wurde, sobald sein Name gemeldet war, hereingeführt und stellte den Advokaten der preziösen Zéphirine vor, die traulich mit Herrn Francis du Hautoy und Fräulein de la Haye beim Frühstück saß. Herr von Senonches war wie immer zu Herrn von Pimentel gefahren, um dort die Jagd zu eröffnen.
»Hier, gnädige Frau, bringe ich Ihnen den jungen Advokaten, von dem ich Ihnen gesprochen habe und der es auf sich nehmen will, Ihrem schönen Mündel zur Mündigkeit zu verhelfen.«
Der Diplomat sah Petit-Claud prüfend an, und dieser seinerseits betrachtete von der Seite das »schöne Mündel«. Zéphirinens Überraschung, da ihr weder Cointet noch Francis je ein Wort gesagt hatten, war derart, daß ihr die Gabel aus der Hand fiel. Fräulein de la Haye, die wie ein zänkisches, sauertöpfisches Mädchen aussah, hatte eine recht wenig anmutige Gestalt, war mager und mit ihren verblichenen blonden Haaren nichts weniger als hübsch. Trotz der aristokratischen Miene, die sie aufsetzte, war sie überaus schwer zu verheiraten. Die Worte: »Vater und Mutter unbekannt« in ihrer Geburtsurkunde schlossen sie in der Tat aus der Sphäre aus, in die die Zuneigung ihrer Patin und Francis' sie hineinbringen wollte. Fräulein de la Haye, die ihre Lage nicht kannte, war schwierig: sie hätte den reichsten Kaufmann von Houmeau zurückgewiesen. Cointet sah um die Lippen des kleinen Petit-Claud denselben recht deutlichen Ausdruck, der im Gesicht von Fräulein de la Haye beim Anblick des schmächtigen Advokaten zu lesen war. Frau von Senonches und Francis schienen sich darüber zu beraten, wie man Cointet und seinen Schutzbefohlenen loswerden könnte. Cointet, der alles sah, bat Herrn du Hautoy, ihm einen Augenblick Gehör zu schenken, und begab sich mit dem Diplomaten in den Salon.
»Herr du Hautoy,« sagte er ohne weiteres zu ihm, »die Vaterschaft macht Sie blind. Sie werden Ihre Tochter sehr schwer verheiraten; und in Ihrer aller Interesse habe ich Ihnen den Rückzug unmöglich gemacht; denn Françoise liegt mir am Herzen wie ein Pflegekind. Petit-Claud weiß alles! ... Sein überaus großer Ehrgeiz verbürgt Ihnen das Glück Ihrer lieben Kleinen. Zunächst wird Françoise alles aus ihrem Mann machen, was sie will. Sie aber werden mit Hilfe der Präfektin, die wir bekommen, einen königlichen Prokurator aus ihm machen. Es ist sicher, daß Herr Milaud nach Revers versetzt wird. Petit-Claud wird seine Praxis verkaufen, Sie bekommen leicht für ihn die Stelle des zweiten Substituten, und er wird bald königlicher Prokurator, dann Gerichtspräsident, Deputierter ...«
Nachdem sie wieder in das Speisezimmer zurückgekehrt waren, war Francis gegen den Erkorenen seiner Tochter bestrickend liebenswürdig. Er sah Frau von Senonches auf eine gewisse Art an und machte dieser Antrittsvisite ein Ende, indem er Petit-Claud für den nächsten Tag zum Diner einlud, wo man über Geschäfte sprechen könnte. Dann geleitete er den Kaufmann und den Anwalt bis in den Hof, indem er zu Petit-Claud sagte, er wäre ebenso wie Frau von Senonches geneigt, alles zu bestätigen, was der Vermögensverwalter des Fräuleins de la Haye für das Glück des kleinen Engels
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