Verlorene Illusionen (German Edition)
vorgesorgt hätte.
»Oh, wie sie häßlich ist!« rief Petit-Claud. »Ich bin überrumpelt!«
»Sie sieht sehr vornehm aus,« erwiderte Cointet; »aber würde man sie Ihnen geben, wenn sie schön wäre? Oh, mein Lieber, es gibt mehr als einen kleinen Grundbesitzer, dem dreißigtausend Franken, die Protektion von Frau von Senonches und der Gräfin du Châtelet trefflich paßten; um so mehr, als Herr Francis du Hautoy sich nie verheiraten wird und diese Tochter seine Erbin ist ... Ihre Verehelichung ist fix und fertig.«
»Und wie ist das zugegangen?«
»Folgendes habe ich ihm gesagt«, versetzte der große Cointet und erzählte dem Anwalt seinen kühnen Streich. »Mein Lieber, man sagt, Herr Milaud sei zum königlichen Prokurator in Revers ernannt; Sie müssen Ihre Praxis verkaufen, und in zehn Jahren sind Sie Justizminister. Sie sind gerade kühn genug, um vor keinem der Schritte, die der Hof verlangen kann, zurückzuweichen.«
»Also gut, finden Sie sich morgen um halb fünf Uhr auf der Place du Mûrier ein«, erwiderte der Advokat, den die Möglichkeiten dieser Zukunft begeisterten; »bis dahin habe ich mit dem alten Séchard gesprochen, und wir machen einen Gesellschaftsvertrag, in dem Vater und Sohn dem heiligen Geist der Cointet gehören sollen.«
In dem Augenblick, in dem der alte Pfarrer von Marsac die Stufen von Angoulême hinausstieg, um Eva Mitteilung von dem Zustand zu machen, in dem sich ihr Bruder befand, war David seit elf Tagen zwei Häuser weit von dem versteckt, das der würdige Pfarrer eben verlassen hatte.
Als der Abbé Marron die Place du Mûrier betrat, fand er dort drei Männer, von denen jeder in seiner Art bemerkenswert war und die mit all ihrem Gewicht auf die Zukunft und die Gegenwart des armen freiwilligen Gefangenen drückten: den alten Séchard, den großen Cointet und den kleinen, schmächtigen Anwalt. Drei Menschen, dreierlei Habgier! Aber drei Arten Habgier, die unter sich ebenso verschieden waren wie die Menschen. Der eine war daraufgekommen, seinen Sohn, der andere, seinen Klienten zu verschachern, und der große Cointet wollte all diese Niederträchtigkeiten kaufen und schmeichelte sich, nichts dafür zu zahlen. Es war gegen fünf Uhr, und die meisten Leute, die zum Mittagessen nach Hause gingen, blieben einen Augenblick stehen, um die drei Männer zu betrachten.
»Was zum Teufel haben der alte Séchard und der große Cointet miteinander zu verhandeln?« dachten die Neugierigsten.
»Es handelt sich jedenfalls um den armen Unglücklichen, der seine Frau, seine Schwiegermutter und sein Kind ohne Brot läßt«, antwortete man.
»Da soll man seine Kinder nach Paris schicken, damit sie etwas lernen!« meinte ein starker Geist der Provinz.
»He, was wollen Sie denn hier, Herr Pfarrer?« rief der Winzer, der den Abbé Marron gewahrte, sowie er auf den Platz einschwenkte.
»Ich will zu Ihren Angehörigen«, erwiderte der alte Mann.
»Wieder eine neue Idee meines Sohnes«, sagte der alte Séchard.
»Es würde Ihnen wenig kosten, alle glücklich zu machen«, erwiderte der Priester und wies nach dem Fenster, an dem der schöne Kopf der Frau Séchard zwischen den Vorhängen zu sehen war.
Eva beruhigte gerade ihr schreiendes Kind, sie hob es in die Höhe und sang ihm ein Lied vor.
»Bringen Sie Nachrichten von meinem Sohn?« fragte der Vater, »oder noch besser Geld?«
»Nein,« antwortete Herr Marron, »ich bringe der Schwester Nachrichten vom Bruder.«
»Von Lucien?« rief Petit-Claud.
»Ja. Der arme junge Mann ist zu Fuß von Paris gekommen. Ich fand ihn bei Courtois, wo er vor Ermattung und Elend zusammengebrochen war«, erwiderte der Priester. »Oh, er ist sehr unglücklich!«
Petit-Claud grüßte den Priester, faßte den großen Cointet untern Arm und sagte mit lauter Stimme: »Wir müssen zum Diner bei Frau von Senonches, es ist Zeit, uns anzuziehen!« Und als sie zwei Schritte weg waren, sagte er ihm ins Ohr: »Sie wissen: hat man das Kind, hat man bald auch die Mutter. Wir haben David ...«
»Ich habe Sie verheiratet, verheiraten Sie jetzt mich«, erwiderte der große Cointet mit einem häßlichen, kurzen Lachen. »Lucien ist mein Schulkamerad, wir waren gute Freunde! In acht Tagen werde ich viel von ihm herausbekommen. Sorgen Sie dafür, daß das Aufgebot erlassen wird, und ich bürge Ihnen dafür, David ins Gefängnis zu bringen. Meine Mission ist mit seiner Verhaftung zu Ende.«
»Ach!« sagte der große Cointet leise, »das Schönste wäre, wenn wir das Patent
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