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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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man nur einen Triumph, wenn die ganze Welt sich auf dem Haupte des Triumphators mitkrönt. Und so hatten die beiden Frauen mit ihren Ahnungen recht. Der Erfolg des großen Mannes der Provinz stand zu sehr in Widerspruch mit den starren Sitten von Angoulême, als daß er nicht von Interessen oder von einem begeisterten Maschinisten in Szene gesetzt sein mußte, und eins davon ist so nichtswürdig wie das andere. Eva war, wie übrigens die meisten Frauen, aus dem Gefühl heraus und ohne sich darüber Rechenschaft ablegen zu können, mißtrauisch. Sie fragte sich vor dem Einschlafen: »Wer liebt denn hier meinen Bruder so, daß er die Leute für ihn in Aufregung gebracht hat? Und überdies sind die ›Margueriten‹ noch gar nicht veröffentlicht. Wie kann man ihn wegen eines Erfolgs bejubeln, der erst kommen soll? ...«
    Dieser Triumph war in der Tat das Werk des kleinen Petit-Claud. An dem Tage, an dem der Pfarrer von Marsac ihm Luciens Rückkehr mitgeteilt hatte, war der Advokat zum erstenmal zum Diner bei Frau von Senonches, bei der er offiziell um die Hand ihres Mündels anhalten mußte. Es war eins der Familiendiners, deren Feierlichkeit sich mehr durch die Toiletten als die Zahl der Gäste verrät. Man ist zwar im Familienkreis, aber man weiß, daß etwas Bedeutungsvolles vorgeht, und die Absichten sehen hinter aller würdevollen Haltung hervor. Francoise war angezogen, als ob sie zur Schau gestellt werden sollte. Frau von Senonches hatte die Fahnen ihrer ausgesuchtesten Toilette aufgepflanzt. Herr du Hautoy war im schwarzen Rock. Herr von Senonches, dem seine Frau die Ankunft der Frau du Châtelet, die sich zum erstenmal bei ihr zeigen sollte, und den Antrittsbesuch eines Erkorenen für Francoise gemeldet hatte, war von dem Schloß der Pimentel zurückgekehrt. Cointet, der seinen schönsten kastanienbraunen Rock mit geistlichem Schnitt trug, stellte auf seiner Brust einen Diamanten im Wert von sechstausend Franken zur Schau, der die Rache des reichen Kaufmanns und der armen Aristokratie bedeutete. Petit-Claud hatte sich zwar rasiert, die Haare gefärbt und sich mit Seife gewaschen, aber seine kleine, vertrocknete Miene hatte er nicht abwaschen können. Unwillkürlich mußte man diesen schmächtigen, in seine Kleider eingezwängten Advokaten einer kalten Schlange vergleichen; aber die Hoffnung erhöhte die Lebhaftigkeit seiner Elsternaugen so sehr, es prägte sich in seinem Gesicht so viel hochmütige Kälte und so viel Steifheit in seinem Wesen aus, daß er es gerade noch zu der würdevollen Art eines ehrgeizigen kleinen Prokurators brachte. Frau von Senonches hatte ihre Getreuen gebeten, von dem ersten Besuch eines Freiwerbers um die Hand ihres Mündels und von dem Erscheinen der Präfektin doch ja nirgends ein Wort zu sagen, und sie konnte sich daher darauf verlassen, ihre Salons gefüllt zu sehen. In der Tat hatten der Herr Präfekt und seine Frau ihre offiziellen Antrittsbesuche durch Karten erledigt und hatten sich die Ehre ihres persönlichen Besuchs als ein Mittel von besonderer Wirkung aufgespart. So war denn die Aristokratie von Angoulême von einer so starken Neugier besessen, daß mehrere Personen aus dem Lager der Chandour sich vornahmen, ins Hotel Bargeton zu kommen – denn man sträubte sich hartnäckig dagegen, dieses Haus Hotel Senonches zu nennen. Die Proben von dem Einfluß der Gräfin du Châtelet hatten mancherlei Ehrgeiz wachgerufen; und überdies, hieß es, wäre sie dermaßen zu ihrem Vorteil verändert, daß jeder sich selbst davon überzeugen wollte. Als Petit-Claud unterwegs die große Nachricht von der Gunst hörte, die Zephirine von der Präfektin erlangt hatte, ihr den Künftigen der lieben Francoise vorstellen zu dürfen, kam ihm der Gedanke, er könnte aus der schiefen Lage, in die Luciens Rückkehr Louise von Nègrepelisse brachte, Vorteil ziehen.
    Herr und Frau von Senonches hatten, als sie ihr Haus kauften, so drückende Verpflichtungen auf sich genommen, daß es ihnen als echten Provinzmenschen nicht eingefallen war, die geringste Veränderung vorzunehmen. Daher war das erste Wort Zéphirinens zu Louise, als sie ihr, um sie zu empfangen, entgegenging:
    »Liebe Louise, sehen Sie, Sie sind hier noch zu Hause!« Dabei wies sie auf den kleinen Kronleuchter mit den Kristallgehängen, auf das Holzgetäfel und die Möbel, die Lucien einst so entzückt hatten.
    »Liebe, daran will ich mich am wenigsten erinnern«, sagte die Frau Präfektin mit anmutiger Liebenswürdigkeit und sah

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