Verlorene Illusionen (German Edition)
Sie auf mich rechnen«, fügte sie hinzu und machte mit ihrem Fächer eine königliche Bewegung.
»Frau Gräfin,« sagte Petit-Claud, der Cointet an der Tür des Boudoirs auftauchen sah, »Lucien ist hier.«
»Nun, und –, mein Herr?« antwortete die Gräfin in einem Ton, der jedes weitere Wort in der Kehle eines gewöhnlichen Menschen erstickt hätte.
»Die Frau Gräfin versteht mich nicht,« erwiderte Petit-Claud im respektvollsten Tone, »ich will ihr einen Beweis meines Gehorsams geben. Wie wünscht die Frau Gräfin, daß der große Mann, den sie gemacht hat, in Angoulême aufgenommen wird? Es gibt kein Mittelding. Er muß hier entweder ein Gegenstand der Verachtung oder des Ruhmes sein.«
Louise von Nègrepelisse hatte an dieses Dilemma nicht gedacht, an dem sie offenbar mehr wegen der Vergangenheit als wegen der Gegenwart interessiert war. Von der Stimmung nun, die die Gräfin zurzeit Lucien gegenüber hatte, hing das Gelingen des Planes ab, den der Advokat geschmiedet hatte, um Séchard verhaften zu können.
»Herr Petit-Claud,« sagte sie und nahm eine hochmütige und würdevolle Haltung an, »Sie wollen es erreichen, zur Regierung zu kommen; beachten Sie, daß das erste Regierungsprinzip sein muß, nie unrecht gehabt zu haben, und daß die Frauen noch besser als die Regierungen den Instinkt der Macht und das Gefühl ihrer Würde haben.«
»Das ist genau, was ich dachte, Frau Gräfin«, antwortete er lebhaft, wobei er die Gräfin, ohne daß sie es sehen sollte, sehr aufmerksam beobachtete. »Lucien ist hier im größten Elend angekommen. Aber wenn er hier eine Huldigung empfangen soll, so kann ich ihn ebenso, gerade auf Grund der Huldigung, zwingen, Angoulême, wo seine Schwester und sein Schwager David Séchard den heftigsten gerichtlichen Verfolgungen ausgesetzt sind, zu verlassen.«
Louise von Nègrepelisse ließ auf ihrem Gesicht eine leichte Regung erkennen, die gerade dadurch hervorgebracht wurde, daß sie das Vergnügen, das ihr diese Worte bereiteten, unterdrücken wollte. Sie war überrascht, daß sie so gut verstanden wurde, und sah Petit-Claud über ihren Fächer hinweg an, denn eben trat Françoise de la Haye ein, und sie hatte somit Zeit, sich auf eine Antwort zu besinnen.
»Herr Petit-Claud,« sagte sie mit bezeichnendem Lächeln, »Sie werden bald königlicher Prokurator sein ...«
War damit nicht alles gesagt, ohne daß sie sich kompromittierte?
»Ob, Frau Gräfin,« rief Françoise und trat näher, um der Präfektin zu danken, »ich verdanke Ihnen also das Glück meines Lebens.«
Sie sagte ihrer Gönnerin, während sie sich mit der Bewegung eines halbwüchsigen Mädchens zu ihr neigte, ins Ohr: »Als Frau eines Provinzadvokaten wäre ich zu Tode gemartert worden.«
Wenn Zéphirine sich so Louise an den Hals warf, so war es Francis gewesen, der sie dazu gebracht hatte. Es fehlte ihm nicht an einer gewissen Kenntnis der bureaukratischen Welt.
»In den ersten Tagen jedes Regierungsantrittes, mag es sich um einen Präfekten, um eine Dynastie oder um einen industriellen Betrieb handeln,« hatte der frühere Generalkonsul zu seiner Freundin gesagt, »findet man die Leute immer Feuer und Flamme, einem dienstfertig zu sein; aber sie merken bald die Unbequemlichkeiten der Protektion und erstarren zu Eis. Heute tut Louise für Petit-Claud Schritte, die sie in einem Vierteljahr nicht einmal mehr für ihren Mann tun möchte.«
»Denkt die Frau Gräfin«, sagte Petit-Claud, »an alle Verpflichtungen, die mit dem Triumph unseres Dichters zusammenhängen? Sie wird Lucien im Lauf der zehn Tage, die unsere Narrheit dauert, empfangen müssen.«
Die Präfektin nickte zur Verabschiedung Petit-Clauds mit dem Kopf und erhob sich, um mit Frau von Pimentel zu plaudern, die ihren Kopf an der Boudoirtür zeigte. Die Marquise war von der Nachricht über die Erhebung des kleinen, alten Nègrepelisse zur Pairswürde überrascht worden, und sie hielt es für nötig, einer Frau zu schmeicheln, die geschickt genug war, durch Begehung eines scheinbaren Fehlers ihren Einfluß zu erhöhen.
»Sagen Sie mir doch, meine Liebe, warum Sie sich die Mühe gegeben haben, Ihren Vater in die Pairskammer zu bringen«, fragte die Marquise in einem vertraulichen Gespräch, in dem sie vor der Überlegenheit »ihrer lieben« Louise das Knie beugte. »Meine Liebe, man hat mir diese Gunst um so lieber bewilligt, als mein Vater keine Söhne hat und immer für die Krone stimmen wird; aber wenn ich Jungen bekomme, denke ich
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