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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Herzen entschlüpfen, ohne daß es der Schreiber weiß, und wie sie die Frauen so sehr lieben. Lucien hatte diesen Brief der Kammerfrau übergeben und war dann in die Druckerei gegangen, um den Tag damit zu verbringen, Korrekturen zu lesen, diese und jene Arbeiten zu überwachen und allerlei Kleinigkeiten zu ordnen, und hatte zu David nichts gesagt. In den Tagen, wo das Herz noch jung ist, haben die jungen Leute diese göttliche Verschwiegenheit, überdies fing Lucien vielleicht an, das Beil des Phokion zu fürchten, das David handhabte, vielleicht fürchtete er die Klarheit eines Blicks, der bis in den Grund der Seele drang. Nachdem sie Chénier zusammen gelesen hatten, war sein Geheimnis ihm aus dem Herzen über die Lippen gesprungen. Ein Vorwurf hatte es herausgebracht, den er empfand wie den Finger, den ein Chirurg auf eine Wunde bringt.
    Nun stelle man sich die Gedanken vor, die Lucien bestürmen mußten, während er von Angoulême nach Houmeau hinabging. Ob sich die große Dame geärgert hatte? Ob sie David empfangen würde? Ob der Ehrgeizige nicht wieder in sein Loch in Houmeau geworfen würde? Obwohl Lucien, bevor er Louise auf die Stirn geküßt hatte, den Abstand, der eine Königin von ihrem Günstling trennt, zur Genüge hatte ermessen können, sagte er sich nicht, daß David den Raum, zu dem er fünf Monate gebraucht hatte, nicht in einem Augenblick durchschreiten konnte. Er wußte nicht, wie absolut der gegen die kleinen Leute ausgesprochene Ostrazismus war; und es war ihm daher unbekannt, daß ein zweiter Versuch dieser Art Frau von Bargetons Verderben sein mußte. Des Verbrechens angeklagt und überführt, sich mit dem Pöbel eingelassen zu haben, wäre Louise gezwungen gewesen, die Stadt zu verlassen, wo ihre Kaste sie geflohen hätte, wie man im Mittelalter einen Aussätzigen floh. Die Horde der hohen Aristokratie und sogar die Geistlichkeit würden Naïs gegen jeden verteidigt haben, wenn sie einen Fehltritt begangen hätte, aber das Verbrechen, schlechte Gesellschaft bei sich zu sehen, wäre ihr nie verziehen worden; denn wenn man die Fehler der Machthaber entschuldigt, so verdammt man sie nach ihrer Abdankung. Und David zu empfangen, wäre dasselbe gewesen wie abdanken. Wenn Lucien diese Seite der Frage nicht gesehen hatte, so ließ ihn doch sein aristokratischer Instinkt viele andere Schwierigkeiten ahnen, die ihn schreckten. Der Adel der Gefühle verleiht nicht notwendigerweise auch den Adel der Manieren. Racine wirkte wie der adligste Höfling, Corneille aber sah aus wie ein Viehhändler. Descartes hatte das Benehmen eines wohlhabenden holländischen Kaufmanns. Die Besucher von la Brede hielten oft Montesquieu, wenn sie ihn trafen, mit seinem Rechen über der Schulter und der Nachtmütze auf dem Kopf, für einen gewöhnlichen Gärtner. Wenn der feine Weltton nicht eine Gabe hoher Geburt ist, ein Wissen, das mit der Muttermilch eingesogen oder im Blute vererbt ist, stellt er eine Zucht vor, die der Zufall durch eine gewisse Eleganz der Formen, durch eine feine Besonderheit in den Zügen, durch einen gewissen Ton in der Stimme unterstützen muß. All diese wichtigen kleinen Dinge fehlten David, während die Natur seinen Freund damit begabt hatte, Lucien, der von Mutterseite her adliger Abstammung war. Lucien hatte sogar den hochgewölbten Fuß des Franken, während David Séchard die Plattfüße des Kelten und den gebeugten Nacken seines Vaters, des Buchdruckers, hatte. Lucien hörte in den Ohren schon die Spottreden, die auf David niederprasselten, es schien ihm, er sähe das Lächeln, das Frau von Bargeton unterdrückte. Kurz, ohne sich geradezu seines Bruders zu schämen, nahm er sich doch vor, in Zukunft nicht mehr so auf seine erste Regung zu hören und sie erst zu prüfen. Nach der Stunde der Poesie und der Opferwilligkeit, nach einer Lektüre, die den beiden Freunden eben den literarischen Himmel, von einer neuen Sonne beleuchtet, gezeigt hatte, schlug jetzt für Lucien die Stunde der Politik und der Berechnung. Als er in Houmeau angelangt war, bereute er seinen Brief, er wünschte, ihn wieder zurücknehmen zu können, denn ihm kam eine Ahnung von den unerbittlichen Gesetzen der Welt. Er wußte, wie sehr das Glück, das er erlangt hatte, den Ehrgeiz begünstigte, und es kam ihn schwer an, seinen Fuß von der ersten Sprosse der Leiter zurückzuziehen, auf der er zur Größe emporsteigen sollte. Dann erwachten wieder in seiner Erinnerung die Bilder seines einfachen und ruhigen, mit den

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