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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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wir an, wir ständen ohne einen Pfennig Vermögen da, was täten wir, um zu leben? Wie wollten Sie Ihre Kinder ernähren?«
    Die Kaltblütigkeit Frau von Bargetons unterdrückte alles Klagegeschrei des Adels. Die großen Seelen sind immer imstande, aus der Not eine Tugend zu machen. Außerdem besitzt die Beharrlichkeit, mit der man etwas Gutes tut, das einem zur Anschuldigung erhoben wird, einen unbesieglichen Reiz. Die Unschuld hat das Anziehende des Lasters. Am Abend füllte sich der Salon Frau von Bargetons mit ihren Freunden, die kamen, ihr Vorhaltungen zu machen. Sie ließ die ganze Schärfe ihres Witzes spielen; sie sagte, wenn die Herren Edelleute keine Molière, Racine, Rousseau, Voltaire, Massillon, Beaumarchais, Diderot sein könnten, dann müßte man wohl oder übel die Tapezierer, die Uhrmacher, die Messerschmiede empfangen, deren Kinder große Männer würden. Sie sagte, das Genie sei immer von Adel. Sie schalt die Krautjunker, daß sie ihre wahren Interessen so schlecht verstanden. Kurz, sie sagte viele Dummheiten, die für weniger alberne Menschen etwas hätten durchblicken lassen, in diesem Kreise aber für originell galten. Sie beschwor also das Gewitter mit Hilfe von Kanonenschlägen. Als Lucien, den sie bestellt hatte, zum erstenmal in den alten, verblichenen Salon eintrat, wo man an vier Tischen Whist spielte, empfing sie ihn aufs herzlichste und stellte ihn in der Haltung einer Königin vor, die Gehorsam verlangt. Sie nannte den Steuerdirektor »Herr Châtelet« und versteinerte ihn fast, als sie ihm so zu verstehen gab, daß sie wußte, auf wie illegalem Weg das Wörtchen »von« vor seinem Namen entstanden war. Lucien wurde an diesem Abend gewaltsam in die Gesellschaft Frau von Bargetons eingeführt; aber er wurde dort wie ein Giftstoff aufgenommen, den jeder sich vornahm mit Hilfe der Gegengifte der Unverschämtheit wieder auszutreiben. Trotz diesem Triumph verlor Naïs an Einfluß: es gab Abtrünnige, die den Versuch machten, auszuwandern. Auf den Rat des Herrn Châtelet entschloß sich Amélie, das war Frau von Chandour, einen Gegenaltar zu errichten, indem sie an den Mittwochen bei sich empfing. Frau von Bargeton öffnete ihren Salon jeden Abend, und die Menschen, die zu ihr kamen, waren solche Gewohnheitsmenschen, waren so sehr daran gewöhnt, sich in denselben Räumen zu versammeln, dasselbe Tricktrack zu spielen, die Menschen, die Leuchter zu sehen, ihre Mäntel, ihre Überschuhe, ihre Hüte im selben Vorraum zu lassen, daß sie die Treppenstufen ebensosehr liebten wie die Herrin des Hauses. »Alle ließen sich den Stieglitz im heiligen Hain gefallen«, bemerkte Alexandre de Brébian witzig. Schließlich beruhigte der Präsident der Landwirtschaftsgesellschaft den Aufruhr durch eine meisterhafte Bemerkung.
    »Vor der Revolution«, sagte er, »empfingen die größten Herren Duclos, Grimm, Crébillon, lauter Leute, die, wie dieser kleine Dichter aus Houmeau, sonst nichts weiter zu bedeuten hatten; aber sie empfingen durchaus keine Steuereinnehmer, und was ist schließlich Châtelet weiter?«
    Du Châtelet zahlte für Chardon die Zeche, jeder behandelte ihn kühl. Als er merkte, daß er es auszubaden hatte, ging der Steuerdirektor, der sich seit dem Augenblick, wo sie ihn Châtelet genannt, geschworen hatte, er wolle Frau von Bargeton besitzen, auf ihre Absichten ein; er kam dem jungen Dichter zu Hilfe und nannte sich seinen Freund. Dieser große Diplomat, dessen sich der Kaiser zu seinem Unglück beraubt hatte, schmeichelte Lucien und hieß sich seinen Freund. Um den Dichter zu lancieren, gab er ein Diner, an dem der Präfekt, der Generaldirektor der Steuern, der Oberst des Regiments, das in Angoulême in Garnison lag, der Direktor der Marineschule, der Gerichtspräsident, kurz, alle Spitzen der Behörden teilnahmen. Der arme Dichter wurde so großartig gefeiert, daß jeder andere als ein junger Mensch von zweiundzwanzig Jahren gegen die Lobsprüche, mit denen man ihn täuschte, mißtrauisch geworden wäre. Beim Nachtisch veranlaßte Châtelet seinen Nebenbuhler, seine Ode »Der sterbende Sardanapal« vorzutragen, die zurzeit seine beste Dichtung war. Als er fertig war, klatschte der Lyzeumsdirektor, ein phlegmatischer Mensch, in die Hände und sagte, Jean Baptiste Rousseau habe nichts Besseres gemacht. Der Baron Sixtus Châtelet dachte, der kleine Reimschmied werde früher oder später in der Treibhausluft dieser Lobpreisungen zugrunde gehen, oder er werde sich im Rausche seines

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