Verlorene Illusionen (German Edition)
blatternarbiges Gesicht gesetzt hätte, nahm, als er Eva erblickte, eine feierliche und liebliche Miene an, die erkennen ließ, daß er mit der Absicht umging, die Tochter seines Vorgängers zu heiraten, ohne daß er mit dem Zwiespalt fertig werden konnte, den die Liebe und das Interesse in seinem Herzen miteinander ausfochten. Daher sagte er zu Lucien oft lächelnd die Worte, die er auch jetzt zu ihm sagte, als der junge Mann wieder bei ihm vorbeikam: »Sie ist ganz reizend, deine Schwester! Du bist auch nicht übel! Euer Vater hat alles gut gemacht!«
Eva war groß, brünett, hatte schwarze Haare und blaue Augen. Obwohl sie Proben eines männlichen Charakters zeigte, war sie sanft, zart und hingebend. Ihre Unschuld, ihr kindliches Wesen, ihre ruhige Fügung in ein Leben der Arbeit, ihre Klugheit, die ohne jede Bosheit war, hatten David Séchard bestricken müssen. So war denn auch von ihrem ersten Beisammensein an eine stille, schlichte Liebe zwischen ihnen entstanden, eine deutsche Liebe, ohne leidenschaftliches Wesen und stürmische Erklärungen. Jeder von beiden hatte im geheimen an den andern gedacht, wie wenn ein eifersüchtiger Gatte sie getrennt hätte, für den dieses Gefühl eine Kränkung gewesen wäre. Alle beide verbargen ihr Gefühl vor Lucien, dem sie vielleicht irgendeinen Schaden anzutun fürchteten. David fürchtete sich, er könnte Eva nicht gefallen, und sie wiederum überließ sich der ganzen Verzagtheit, die die Not mit sich bringt. Eine richtige Arbeiterin wäre kühn gewesen, aber ein wohlerzogenes Mädchen, das in schlechte Lage gekommen ist, paßt sich dem Unglück an. Eva, deren Wesen bescheiden, die aber in Wirklichkeit stolz war, wollte es nicht auf den Sohn eines Mannes absehen, der für reich galt. In diesem Augenblick schätzten die Leute, die den wachsenden Wert des Grundbesitzes kannten, das Landgut in Marsac auf mehr als achtzigtausend Franken, die Ländereien ungerechnet, die der alte Séchard, der viel Ersparnisse und glückliche Ernten hatte und im Verkauf geschickt war und die rechten Gelegenheiten abpaßte, noch dazukaufen mußte. David war vielleicht der einzige Mensch, der nichts von dem Vermögen seines Vaters wußte. Für ihn war Marsac ein heruntergekommenes Anwesen, das sein Vater im Jahre 1810 für fünfzehn- oder sechzehntausend Franken gekauft hatte, das er einmal im Jahr zur Zeit der Weinlese besuchte, wo der Vater dann mit ihm durch die Weinberge ging und ihm von den reichen Ernten erzählte, die der Drucker nie zu sehen bekam und um die er sich sehr wenig kümmerte. Die Liebe eines an die Einsamkeit gewöhnten Gelehrten, dessen Gefühle sich dadurch noch steigerten, daß er sich die Schwierigkeiten übertrieben groß vorstellte, hätte ermutigt werden müssen, denn für David war Eva ein stolzeres Weib, als es eine große Dame für einen armen Kommis ist. Er war in der Nähe seiner Verehrten linkisch und unruhig, hatte es ebenso eilig, wieder fortzugehen wie hinzukommen, und hielt seine Gefühle zurück, anstatt sie zum Ausdruck zu bringen. Oft am Abend ersann er einen Vorwand, um Lucien noch sprechen zu müssen, und stieg von der Place du Mûrier durchs Palet-Tor nach Houmeau hinab; aber wenn er an der grünen Tür mit dem eisernen Gitter angekommen war, kam ihm die Furcht, er komme zu spät oder er falle Eva, die sich vielleicht schon hingelegt hatte, lästig, und ergriff die Flucht. Obschon diese große Liebe nur an kleinen Zeichen zu erkennen war, hatte sie Eva wohl bemerkt; es schmeichelte ihr, ohne daß sie hochmütig wurde, der Gegenstand der tiefen Verehrung zu sein, die in den Blicken, den Worten, dem Benehmen Davids zum Ausdruck kam. Aber was ihr an ihm vor allem gefiel, war seine fanatische Freundschaft zu Lucien; er hätte auf kein besseres Mittel kommen können, Eva zu gefallen. Wollte man sagen, worin sich die stummen Wonnen dieser Liebe von einer lebhaften, lauten Leidenschaft unterschieden, so müßte man sie den Feldblumen im Gegensatz zu den grellen Gartenblumen vergleichen. Es waren sanfte, zarte Blicke, wie die blauen Lotosblumen, die auf dem Wasser schwimmen, flüchtige Liebeszeichen, wie der schwache Duft der Heckenrose, sanfte Traurigkeit, wie der Samt des Mooses; Blumen zweier schönen Seelen, die aus einem reichen, fruchtbaren, unwandelbaren Boden erwachsen. Eva hatte schon öfter die verborgene Kraft, die unter diesen schwachen Äußerungen schlummerte, erraten. Sie war David für alles, was er nicht wagte, so dankbar, daß der geringste
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