Verlorene Illusionen (German Edition)
er hatte trotzdem für ein landwirtschaftliches Lexikon die Artikel »Zucker« und »Branntwein« geschrieben, die er aus alten Zeitungsartikeln und Büchern, in denen von den beiden Produkten die Rede war, zusammengestohlen hatte. Das ganze Departement glaubte ihn mit einer Abhandlung über die moderne Bodenbestellung beschäftigt. Obwohl er den ganzen Vormittag sich in seinem Arbeitszimmer einschloß, hatte er seit zwölf Jahren noch keine zwei Seiten geschrieben. Wenn ihn jemand besuchte, ließ er sich überraschen, damit man sah, wie er Papier verschmierte, eine verlegte Notiz suchte oder seine Feder schnitt; aber er verbrachte die ganze Zeit, die er in seinem Arbeitszimmer weilte, mit Albernheiten: er las lang und breit die Zeitung, er schnitt mit seinem Federmesser an Pfropfen herum, zeichnete groteskes Zeug auf seine Schreibunterlage, blätterte im Cicero, um sich eilig einen Satz oder ganze Stellen aufzuschreiben, die man auf die Tagesereignisse anwenden konnte; am Abend bemühte er sich dann, die Unterhaltung auf einen Gegenstand zu bringen, der ihm die Bemerkung erlaubte: »Man findet bei Cicero eine Stelle, die für das, was sich in unsern Tagen ereignet, geschrieben zu sein scheint.« Er zitierte dann zum großen Erstaunen seiner Zuhörer seine Stelle, und sie sagten wieder einmal untereinander: »Wahrhaftig, Astolf ist ein Abgrund von Gelehrsamkeit.« Dieser merkwürdige Vorfall sprach sich dann in der ganzen Stadt herum, und so blieb sie bei ihren schmeichelhaften Meinungen über Herrn von Saintot.
Nach diesem Paar kam Herr von Bartas, Adrian genannt. Er sang ersten Baß und tat sich riesig viel auf sein musikalisches Talent zugute. Die Eigenliebe hatte ihn auf den Gesang gebracht und ließ ihn nun nicht mehr herunter; er hatte damit angefangen, sich selbst als Sänger zu bewundern, dann hatte er begonnen, von Musik zu sprechen, und schließlich beschäftigte er sich mit nichts anderem mehr. Die Musik war bei ihm eine Art Monomanie geworden; er wurde nur lebhaft, wenn er von Musik sprach; er litt den ganzen Abend über, bis man ihn bat, er möchte singen. Erst wenn er eins seiner Lieder gebrüllt hatte, fing er an zu leben. Er paradierte, er streckte sich, wenn er Komplimente entgegennahm, er spielte den Bescheidenen, ging aber trotzdem von Gruppe zu Gruppe, um sich loben zu lassen; und wenn schließlich gar nichts mehr zu sagen war, kam er wieder auf die Musik zu sprechen, indem er ein Gespräch über die Schwierigkeiten seines Liedes anschnitt oder den Komponisten rühmte.
Herr Alexander von Brébian, der Held der Tusche, der Zeichner, der die Zimmer seiner Freunde mit abgeschmackten Malereien unsicher machte und jedes Album des Departements verschmierte, begleitete Herrn von Bartas. Jeder von beiden gab der Frau des andern den Arm. Wenn man der chronique scandaleuse glauben wollte, war diese Umstellung eine vollkommene. Die beiden Frauen, Lolotte – Frau Charlotte von Breblan – und Fifine – Frau Iosephine von Bartas –, die sich beide mit nichts weiter beschäftigten als mit einem Busentuch, einem Bänderbesatz oder mit der Zusammenstellung einiger nicht zusammenpassender Roben, waren von der Sehnsucht verzehrt, Pariserinnen zu scheinen, und vernachlässigten ihr Haus, wo alles drunter und drüber ging. Wenn die beiden Frauen, die wie Puppen in zu knapp bemessenen Kleidern eingezwängt waren, eine grelle und bizarre Farbenausstellung zur Schau trugen, gestatteten sich ihre Gatten in ihrer Eigenschaft als Künstler eine provinzmäßige Nachlässigkeit, die sie sehenswert machte. Ihre abgetragenen Röcke gaben ihnen das Aussehen von Statisten, wle sie in kleinen Theatern Leute aus der feinen Gesellschaft darstellen, die an einer Hochzeit teilnehmen.
Unter den Gestalten, die im Salon landeten, war eine der originellsten der Graf von Senonches, der in der aristokratischen Gesellschaft kurz Jacques genannt wurde, ein großer Jäger, hochmütig, trocken, mit sonnverbranntem Gesicht, liebenswürdig wie ein Eber, mißtrauisch wie ein Venezianer, eifersüchtig wie ein Mohr und sehr befreundet mit Herrn du Hautoy, der Francis hieß und Hausfreund war.
Frau von Senonches – Zéphirine – war groß und schön, aber ihr Gesicht infolge eines Leberleidens stark gerötet; sie machte den Eindruck einer Frau, die große Ansprüche stellt. Ihre feine Taille, ihre zarte Gestalt erlaubten ihr ein schmachtendes Wesen, das affektiert schien, aber nur der Ausdruck der immer befriedigten Leidenschaften und
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