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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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mit seiner Vorlesung beginnen konnte, um dann eine Haltung annehmen zu können, die der Qual seines Innern ein Ende machte; aber Jacques erzählte Frau von Pimentel seine letzte Jagdgeschichte; Adrian unterhielt sich mit Fräulein Laura von Rastignac über Rossini, den neuen musikalischen Stern; Astolf, der die Beschreibung eines neuen Karrens in der Zeitung gefunden und auswendig gelernt hatte, sprach darüber mit dem Baron. Lucien, der arme Dichter, wußte nicht, daß niemand von allen Anwesenden außer Frau von Bargeton so viel Geist besaß, Poesie zu verstehen. Alle diese Leute, die ein sehr beschränktes Gefühlsleben hatten, waren hergekommen, weil sie sich über die Art des Schauspiels, das sie erwartete, täuschten. Es gibt Worte, die gleich den Trompeten, den Zimbeln, der großen Trommel der Marktschreier immer das Publikum anlocken. Worte wie Schönheit, Ruhm, Poesie haben Zauberkraft in sich, die selbst die plumpen Köpfe verführt. Als alle da waren, als die Plaudereien aufgehört hatten, nicht ohne tausend Winke, die Herr von Bargeton, den seine Frau wie einen Kirchenschweizer, der seinen Stock auf den Steinboden aufstößt, überall hinschickte, den Unterbrechenden gegeben hatte, ließ sich Lucien an dem runden Tisch in der Nähe Frau von Bargetons nieder. Seine Seele war heftig erschüttert. Er kündete mit zitternder Stimme an, er wolle die Erwartung niemandes täuschen und werde daher die vor kurzem neu entdeckten Meisterwerke eines großen unbekannten Dichters vorlesen. Obwohl die Gedichte von André de Chénier schon 1819 veröffentlicht waren, hatte doch in Angoulême noch niemand von André de Chénier sprechen hören. Alle wollten sie in dieser Ankündigung einen schlauen, von Frau von Bargeton gefundenen Schachzug sehen, um die Eigenliebe des Dichters zu schonen und auch die Zuhörer jedes Zwangs zu entbinden. Lucien las zuerst den »Jungen Kranken«, der mit schmeichelhaftem Murmeln aufgenommen wurde; dann den »Blinden«, und dies Gedicht fanden diese mittelmäßigen Köpfe etwas lang. Während seiner Vorlesung stand Lucien höllische Qualen aus, die nur von großen Künstlern oder von denen, die durch Begeisterung und hohes Verständnis ihnen gleichkommen, völlig begriffen werden können. Die Poesie erfordert, um mit der Stimme wiedergegeben, wie um erfaßt zu werden, eine heilige Aufmerksamkeit. Es muß zwischen dem Leser und der Zuhörerschaft eine innige Verbindung entstehen, ohne die die elektrische Übertragung der Gefühle nicht statthat. Wo dieser enge Zusammenhang der Seelen fehlt, da geht es dem Dichter wie einem Engel, der versuchte, einen himmlischen Gesang inmitten des Hohngelächters der Hölle anzustimmen. In der Sphäre nun, in der sich ihr Talent bewegt, besitzen die geistigen Menschen den allseitigen Blick der Schnecke, den Geruchsinn des Hundes und das Ohr des Maulwurfs; sie sehen, fühlen und hören alles um sich herum. Der Musiker und der Dichter wissen ebenso schnell, ob sie bewundert sind oder unverstanden bleiben, wie eine Pflanze in einer freundlichen oder feindlichen Atmosphäre, je nachdem, vertrocknet oder Leben trinkt. Auf Grund der Gesetze dieser besondern Akustik klang in Luciens Ohr das Brummen der Männer, die nur um ihrer Frauen willen hergekommen waren und sich von ihren Geschäften unterhielten, ebenso wie er das ansteckende Gähnen einiger heftig aufgerissener Kinnbacken bemerkte, deren deutlich sichtbare Zahnreihen ihn verhöhnten. Als er gleich der Schwalbe der Sintflut eine freundliche Stelle suchte, auf der sein Blick weilen konnte, traf er auf die ungeduldigen Blicke von Leuten, die offenbar gemeint hatten, sie könnten diese Zusammenkunft benutzen, um sich über diese und jene positiven Interessen auszusprechen. Mit Ausnahme von Laura von Rastignac, zwei oder drei jungen Leuten und dem Bischof langweilten sich alle Teilnehmer. In der Tat suchen die, die für die Poesie Verständnis haben, in ihrer Seele zur Entfaltung zu bringen, was der Dichter im Keim in seinen Versen angelegt hat; aber diese eisigen Zuhörer waren weit entfernt, der Seele des Dichters nachzustreben, und hörten nicht einmal seine Akzente. Lucien empfand also eine so tiefe Entmutigung, daß ihm kalter Schweiß ausbrach. Ein feuriger Blick, den ihm Louise zuwarf, gegen die er sich herumgewandt hatte, gab ihm den Mut, zu Ende zu lesen; aber sein Dichterherz blutete aus tausend Wunden.
    »Finden Sie das sehr amüsant, Fifine?« fragte die trockene Lili ihre Nachbarin, die vielleicht

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