Verlorene Illusionen (German Edition)
kleingebrochener und zu Brei gemachter Baumwolle hergestellt war. Die Notwendigkeit, einen Ersatz für das Pergament zu finden, dessen Preis außerordentlich hoch war, führte durch eine Nachahmung des Bombyxpapiers – so nannte man das orientalische Baumwollpapier – zur Erfindung des Lumpenpapiers, und zwar wurde diese Erfindung nach einer Nachricht im Jahre 1170 in Basel von griechischen Flüchtlingen gemacht, nach einer andern Nachricht im Jahre 1310 in Padua von einem Italiener namens Pax. So vervollkommnete sich das Papier langsam und ohne daß wir viel davon wissen; aber es ist sicher, daß man schon unter Karl VI. in Paris den Papierbrei (das sogenannte »Zeug«) für Kartenspiele herstellte. Als die unsterblichen Fust, Coster und Gutenberg die Buchdruckerkunst erfunden hatten, paßten Handwerker, die, wie so viele Künstler dieser Epoche, unbekannt blieben, die Papierfabrikation den Bedürfnissen des Buchdruckers an. In diesem so kraftvollen, naiven fünfzehnten Jahrhundert trugen die Namen der verschiedenen Papierformate, ebenso wie die Namen, die man den Schriftgattungen gab, den naiven Stempel der Zeit. So bekamen das Traubenpapier, das Jesuspapier, das Kolombierpapier, das Topfpapier, das Schildpapier, das Muschelpapier, das Kronenpapier ihre Namen von der Traube, vom Bild des Heilands, vom Topf, vom Schild, kurz, von dem Wasserzeichen in der Mitte des Bogens, wie man später unter Napoleon einen Adler als Wasserzeichen benutzte, woher das Papier in großem Landkartenformat grand aigle (großer Adler) genannt wird. Ebenso nannte man die Schriftgattungen Cicero, Augustin, gros canon (großen Kanon) nach liturgischen Büchern, theologischen Werken und den Abhandlungen Ciceros, zu denen diese Schriften zum erstenmal verwendet wurden. Was man in Frankreich Italique nennt (die Kursivschrift), wurde von den Aldi in Venedig erfunden: daher der Name. Vor der Erfindung des mechanisch hergestellten Papiers, dessen Länge ohne Grenzen ist, waren die größten Formate grand jésus und grand colombier , und dieses letzte diente kaum zu etwas anderem als zu Atlanten und Stichen. In der Tat waren die Dimensionen des Druckpapiers von dem Umfang der Presseplatte abhängig. Zu der Zeit, wo David sprach, wäre die Existenz des fortlaufenden Papiers in Frankreich als Schimäre erschienen, obwohl schon Denis Robert d'Essonne gegen 1799 zu seiner Herstellung eine Maschine erfunden hatte, die später Didot-Saint-Léger zu verbessern versuchte. Das Velinpapier, das Ambroise Didot erfunden hat, stammt erst aus dem Jahre 1780. Dieser rasche Überblick zeigt unwidersprechlich, daß alle großen Errungenschaften der Industrie und der Kenntnisse mit außerordentlicher Langsamkeit und durch unmerkliche Häufungen genau wie ein geologischer oder sonst ein Naturprozeß vor sich gegangen sind. Um zu ihrer Vollkommenheit zu gelangen, hat die Schrift – vielleicht auch die Sprache – dieselben Tastversuche machen müssen wie die Buchdruckerkunst und die Papierfabrikation.
»Lumpensammler suchen in ganz Europa die Lumpen, die alte Leinwand zusammen und kaufen die Überbleibsel jeder Art von Geweben«, sagte der Buchdrucker zum Schluß seiner Auseinandersetzung. »Diese Überbleibsel, die je nach dem Gewebe sortiert werden, werden bei den Lumpenhändlern en gros aufgestapelt, und diese versorgen die Papiermühlen. Um Ihnen einen Begriff von diesem Handel zu geben, will ich Ihnen sagen, daß im Jahre 1814 der Bankier Cardon, der Eigentümer der Bütten von Buges und Langlée, wo Léorier de l'Isle schon 1776 sich an der Lösung des Problems versuchte, mit dem sich Ihr Vater beschäftigte, einen Prozeß mit einem gewissen Proust hatte, weil sich in seine Rechnung über zehn Millionen Pfund gelieferte Lumpen ein Gewichtsirrtum von zwei Millionen eingeschlichen hatte; es handelte sich in diesem Prozeß um Beträge von annähernd vier Millionen Franken. Der Fabrikant wäscht seine Lumpen und verwandelt sie in einen klaren Brei, der, genau wie eine Köchin ihre Sauce durch ein Sieb gehen läßt, durch einen eisernen, die »Form« genannten Rahmen durchgetrieben wird, welcher innen aus einem Metall besteht, in dessen Mitte sich die Zeichenlettern befinden, die dem Papier den Namen mitgeben. Von der Größe dieser Form hängt nun also die Papiergröße ab. In der Zeit, wo ich bei Didot war, beschäftigte man sich schon mit dieser Frage, und man beschäftigt sich noch damit, denn die Verbesserung, die Ihr Vater gesucht hat, ist eine der
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