Verlorene Illusionen (German Edition)
diese Ehe für ein unverhofftes Glück gehalten. Aber er weilte in einem der goldenen Träume, in denen die Jünglinge auf hohem »Wenn« alle Schranken nahmen. Eben noch hatte er sich als den Herrscher der Gesellschaft gesehen; und nun war es dem Dichter schmerzlich, so schnell wieder in die Wirklichkeit zurückzufallen. Eva und David dachten, ihr Bruder wäre von so viel Edelmut erschüttert und schwiege darum. Für diese beiden schönen Seelen bewies eine schweigende Zustimmung die wahre Freundschaft. Der Buchdrucker fing an, mit sanfter und herzlicher Beredsamkeit das Glück auszumalen, das sie alle vier erwartete. Ohne sich von den Zwischenrufen Evas stören zu lassen, richtete er seinen ersten Stock mit der Verschwendung eines Liebenden ein; er baute mit gläubiger Zuversicht das zweite Stockwerk für Lucien und das Geschoß über dem Schuppen für Frau Chardon, gegen die er alle liebevolle Sorgfalt kindlicher Fürsorge üben wollte. Kurz, er machte die Familie so glücklich und seinen Bruder so unabhängig, daß Lucien von Davids Stimme und dem schmeichelnden Wesen Evas bezaubert wurde und im Dunkel der Bäume auf dem Weg an der ruhig fließenden, schimmernden Charente unter dem Sternengewölbe und in der lauen Nachtluft die schmerzhafte Dornenkrone vergaß, die die Gesellschaft ihm aufs Haupt gesetzt hatte. Herr von Rubempré erkannte endlich David. Die Beweglichkeit seines Wesens führte ihn bald wieder in das reine, arbeitsame und bürgerliche Leben, das er geführt hatte, zurück; er sah es verschönt und sorgenlos. Der Lärm der aristokratischen Welt wich mehr und mehr hinter ihm zurück. Und schließlich drückte unser Ehrgeiziger, als er das Pflaster von Houmeau betreten hatte, die Hand seines Bruders und gab dem Bunde der glücklichen Liebenden seine Zustimmung.
»Vorausgesetzt, daß dein Vater nicht gegen diese Ehe ist!« sagte er zu David.
»Du weißt, wie wenig er sich um mich kümmert! Der alte Herr lebt für sich; aber ich will ihn morgen in Marsac besuchen, und wenn es nur wäre, um ihn dazu zu bringen, daß er den Umbau bewerkstelligt, den wir brauchen.«
David begleitete den Bruder und die Schwester zu Frau Chardon, die er mit der Dringlichkeit eines Mannes, der es eilig hat, um Evas Hand bat. Die Mutter nahm die Hand ihrer Tochter, legte sie freudig in die Davids, und der Liebende faßte Mut und küßte seine schöne Verlobte, die ihm errötend zulächelte, auf die Stirn.
»So sehen die Verlobungen der Armen aus«, sagte die Mutter und hob die Augen zum Himmel, wie um den Segen Gottes zu erflehen. – »Du hast Mut, mein Sohn,« wandte sie sich zu David, »denn wir sind im Elend, und ich fürchte, daß es ansteckend ist.«
»Wir werden reich und glücklich sein«, sagte David ernst. »Zunächst werden Sie Ihren Beruf als Krankenpflegerin aufgeben und mit Ihrer Tochter und Lucien in Angoulême wohnen.«
Die drei Kinder beeilten sich nun, ihrer erstaunten Mutter ihren reizenden Plan zu erzählen, und sie überließen sich einer von den begeisterten Familienplaudereien, wo man im voraus alle Ernten einbringt und alle Freuden vorwegnimmt. David mußte vor die Tür gesetzt werden; er hätte gewünscht, dieser Abend nähme kein Ende. Es schlug ein Uhr, als Lucien seinen künftigen Schwager bis zum Palet-Tor zurückgeleitete. Der wackere Postel, den diese ungewöhnliche Lebhaftigkeit unruhig machte, stand hinter seiner Jalousie; er hatte das Fenster geöffnet und sagte bei sich selbst, als er zu dieser Stunde bei Eva Licht sah:
»Was ist denn bei Chardons los?«
»Junge,« rief er, als er Lucien zurückkehren sah, »was ist denn mit euch? Braucht ihr mich vielleicht?«
»Nein,« antwortete der Dichter; »aber da Sie unser Freund sind, kann ich Ihnen die Sache sagen: meine Mutter hat David Séchard die Hand meiner Schwester versprochen.«
Statt jeder Antwort schloß Postel heftig sein Fenster. Er war verzweifelt, daß er nicht um Fräulein Chardon angehalten hatte.
David kehrte nicht nach Angoulême zurück. Er schlug die Straße nach Marsac ein. Er schlenderte langsam zu seinem Vater hinaus und erreichte den Weinberg, der an das Haus grenzte, in dem Augenblick, als die Sonne aufging. Unser Liebender bemerkte den Kopf des alten Bären über eine Hecke hinweg unter einem Mandelbaum.
»Guten Morgen, Vater!« sagte David zu ihm. »Was! du bist das, Junge? Wie kommst du zu dieser Stunde auf die Landstraße? Tritt hier ein«, sagte der Winzer und wies seinem Sohn eine kleine Gittertür. »Meine
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