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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Frau von Bargeton zurückgekehrt sein sollte, zu ihr begab; er traf bei ihr den Baron du Châtelet, der sie beide in den Nocher de Cancale zum Diner fuhr. Lucien, der von dem Wirbel des Pariser Lebens wie betäubt war, konnte nichts zu Louise sagen, sie waren zu dritt im Wagen; aber er drückte ihr die Hand, und sie erwiderte freundschaftlich alle Gedanken, die er so zum Ausdruck brachte. Nach dem Essen führte Châtelet seine beiden Gäste nach dem Vaudeville. Lucien empfand bei dem Anblick Châtelets eine geheime Verstimmung; er verfluchte den Zufall, der ihn nach Paris gebracht hatte. Der Steuerdirektor schob den Grund seiner Reise auf seinen Ehrgeiz: er hoffte, zum Generalsekretär einer Behörde ernannt zu werden und als vortragender Rat ins Ministerium zu kommen; er wollte sehen, wie es mit den Versprechungen stünde, die man ihm gemacht hatte, denn ein Mann wie er konnte nicht Steuerdlrektor bleiben; er wollte lieber gar nichts sein, Abgeordneter werden, in den diplomatischen Dienst zurückkehren. Er war gewachsen; Lucien mußte in diesem alten Gecken die Überlegenheit des Mannes von Welt anerkennen, der auf der Höhe des Pariser Lebens stand; besonders schämte er sich, ihm ein Vergnügen zu verdanken. Wo der Dichter unruhig und geniert war, benahm sich der frühere Privatsekretär wie ein Fisch im Wasser. Er lächelte über das Zögern, das Staunen, die Fragen, die kleinen Irrtümer, zu denen der Mangel an Übung seinen Nebenbuhler brachte, wie die alten Seebären sich über die Neulinge lustig machen, die zum erstenmal aufs Wasser kommen. Das Vergnügen, das Lucien empfand, als er zum erstenmal in Paris im Theater war, wog die Verstimmung auf, in die ihn sein Unbehagen versetzte. Dieser Abend war dadurch bemerkenswert, daß er ihm, ohne daß er sich dessen bewußt wurde, eine große Menge seiner Ideen über das Provinzleben raubte. Der Kreis erweiterte sich, die Gesellschaft nahm andere Dimensionen an. Einige hübsche Pariserinnen, die so elegant und frisch gekleidet waren, gaben ihm Gelegenheit zu der Wahrnehmung, wie altmodisch, obwohl anspruchsvoll genug, die Toilette der Frau von Bargeton war; weder die Stoffe, noch der Zuschnitt, noch die Farben waren mehr in Mode. Die Haartracht, die ihn in Angoulême so bezaubert hatte, schien ihm nun im Vergleich mit den feinen Kunstwerken, die er bei jeder zweiten Frau sah, schrecklich geschmacklos.
    »Wird sie so bleiben?« fragte er sich, und ahnte nicht, daß der Tag dazu verwendet worden war, die Umwandlung vorzubereiten.
    In der Provinz gibt es keine Auswahl und keine Möglichkeit der Vergleichung; die Gewohnheit, sie zu sehen, gibt den Physiognomien eine konventionelle Schönheit. Eine Frau, die in der Provinz für hübsch gilt, findet, wenn sie nach Paris verpflanzt wird, nicht die geringste Beachtung, denn sie ist nur schön im Sinne des Sprichworts: Unter den Blinden ist der Einäugige König. Luciens Augen machten die Vergleichung, die Frau von Bargeton am Tage vorher zwischen ihm und Châtelet angestellt hatte. Ihrerseits überließ sich Frau von Bargeton seltsamen Gedankengängen über ihren Geliebten. Der arme Dichter war zwar auffallend schön, aber er hatte nicht die Spur von Haltung. Sein Gehrock, dessen Ärmel zu kurz waren, seine kläglichen Provlnzhandschuhe, seine Weste, die zu knapp war, ließen ihn neben den jungen Leuten im ersten Rang sehr lächerlich erscheinen. Frau von Bargeton fand, daß er eine klägliche Figur machte. Châtelet, der ohne Ansprüche um sie beschäftigt war, der für sie so liebevoll sorgte und damit eine tiefe Leidenschaft verriet, Châtelet, der elegant und behaglich auftrat, wie jemand, der wieder in sein Element gekommen ist, eroberte in zwei Tagen den ganzen Boden, den er in einem halben Jahr verloren hatte. Man gibt zwar gewöhnlich nicht zu, daß die Gefühle sich plötzlich ändern, aber es ist sicher, daß zwei Liebende sich oft schneller trennen, als sie sich gefunden haben. Es bereitete sich bei Frau von Bargeton und bei Lucien eine gegenseitige Enttäuschung vor, deren Ursache Paris war. Das Leben wuchs in den Augen des Dichters, wie die Gesellschaft für Louise ein neues Gesicht annahm. Für ihn wie für sie bedurfte es nur eines Zufalls, damit das Band zerschnitten wurde, das sie vereinigte. Dieser Beilhieb, der für Lucien schrecklich war, ließ nicht lange auf sich warten. Frau von Bargeton brachte den Dichter in sein Hotel und kehrte in Gesellschaft von Châtelet zu sich nach Hause zurück, was dem

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