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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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noch nicht bearbeitet. Seine Haare waren schlecht geschnitten; anstatt seiner großen Figur durch geschmeidiges Fischbein einen Halt zu geben, fühlte er sich in einem gräßlichen Kragen eingeengt; seine Krawatte hatte keine Festigkeit, und so hing ihm der Kopf traurig herunter. Welche Frau hätte in dem gemeinen Schuhzeug, das er aus Angoulême mitgebracht hatte, seine hübschen Füße vermutet? Welcher junge Mann hätte ihn um seine hübsche Taille beneidet, die in dem blauen Sack versteckt war, den er bisher für einen Rock gehalten hatte? Er sah entzückende Knöpfe auf Hemden, die weißen Glanz sprühten – das seine war gelblich. Alle diese eleganten Adligen waren entzückend behandschuht – er hatte Handschuhe wie ein Gendarm! Da wiegte einer einen Spazierstock mit einem famosen Griff zwischen den Fingern; da trug einer Manschetten am Hemd, die mit zierlichen Goldknöpfen geschlossen waren; einer unterhielt sich mit einer Dame, spielte dabei mit einer reizenden Peitsche, und die weiten Falten seiner Hose, an der kleine Spritzerchen waren, seine klirrenden Sporen, sein enganliegender Rock zeigten, daß er im Begriff war, wieder eins der beiden Pferde zu besteigen, die von einem kaum faustgroßen Groom gehalten wurden. Ein anderer zog aus seiner Westentasche eine Uhr heraus, die platt wie eine Münze war, und sah auf sie wie ein Mann, der zu einem Rendezvous zu früh oder zu spät gekommen ist. Als Lucien diese reizenden Kleinigkeiten wahrnahm, an die er nie gedacht hatte, stieg vor ihm die Welt des notwendigen Überflüssigen auf; er zitterte bei dem Gedanken, daß man ein riesiges Vermögen brauchte, um die Rolle des hübschen jungen Mannes zu spielen! Je mehr er diese jungen Leute, die so glücklich und ungezwungen aussahen, betrachtete, um so mehr kam ihm sein seltsames Aussehen zum Bewußtsein, das Aussehen eines Menschen, der nicht weiß, wo der Weg hinführt, auf dem er sich befindet; der nicht weiß, wo Palais Royal ist, wenn er davor steht, und der einen Vorübergehenden fragt, wo der Louvre ist, und die Antwort erhält: »Sie sind darin.« Lucien sah sich von dieser Welt durch einen Abgrund getrennt. Er fragte sich, auf welche Weise er hinüberkommen könnte, denn er wollte dieser schlanken und feinen Pariser Jugend gleich werden. Alle diese Stadt-Edelleute grüßten Damen, die himmlisch angezogen, himmlisch schön waren, Damen, für die Lucien sich gern um den Preis eines einzigen Kusses hätte in Stücke hauen lassen, wie der Page der Gräfin Königsmark. In den Tiefen seines Gedächtnisses erschien Louise, mit diesen Königinnen verglichen, wie eine alte Frau. Er begegnete mehreren dieser Frauen, von denen man in der Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts sprechen wird, deren Geist, Schönheit und Liebschaften nicht weniger berühmt sein werden als die der Königinnen der alten Zeit. Er sah ein herrliches Mädchen vorübergehen, das Fräulein Destouches, die unter dem Namen Camille Maupin so bekannt war, eine bedeutende Schriftstellerin, deren Schönheit ebenso groß war wie die Überlegenheit ihres Geistes. Die Spaziergänger und die Frauen flüsterten sich einander ihren Namen zu.
    »Ah!« sagte er bei sich selbst, »da geht die Poesie in Person.«
    Was war Frau von Bargeton neben diesem himmlischen Geschöpf, das in Jugend, Hoffnung und Zukunft strahlte, mit seinem sanften Lächeln und den schwarzen Augen, die weit wie der Himmel und glühend wie die Sonne waren? Sie plauderte lachend mit Frau Firmiani, einer der reizendsten Frauen von Paris. Eine Stimme in ihm rief wohl: ›Der Geist ist der Hebel, mit dem man die Welt bewegt‹; aber eine andere Stimme rief ihm zu, der Stützpunkt des Geistes wäre das Geld. Er wollte nicht länger auf diesem Schauplatz seines Zusammenbruchs und seiner Niederlage weilen. Er fragte sich nach dem Palais Royal zurecht, denn er war in seinem Viertel noch nicht ortskundig, und ging dahin. Er trat bei Véry ein und bestellte, um die Annehmlichkeiten von Paris kennen zu lernen, ein Diner, das ihn in seiner Verzweiflung tröstete. Eine Flasche Bordeaux, Austern von Ostende, Fisch, Rebhuhn, Makkaroni und Obst waren das Nonplusultra seiner Wünsche. Er ließ sich diese kleine Üppigkeit wohlbekommen und dachte, er wolle heute abend bei der Marquise d'Espard eine Probe seines Geistes ablegen und die Kläglichkeit seines komischen Aufzugs durch die Entfaltung seiner geistigen Reichtümer wieder gutmachen. Er wurde durch die Rechnung aus seinen Träumen gerissen, die

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